Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
Vom Netzwerk:
posetiteljej! «
    Der alte Wissenschaftler kramte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die Käfigtür auf.
    »Ach, das ist wirklich nicht nötig«, sagte Julia.
    »Nein, nein, das macht überhaupt keine Umstände. Ich möchte Ihnen nur zeigen, dass wir unsere Primaten immer noch gut behandeln. Sie sind keineswegs unglücklich, sie fühlen sich wohl in unserer Gegenwart. Und gerade Letzteres ist von entscheidender Bedeutung. Sie müssen an uns Menschen gewöhnt sein, damit sie zutraulich werden. Boris mit Frauen zu paaren ist uns vor allem deshalb gelungen, weil er vor Menschen keine Angst hat. Er wurde von Geburt an darauf hin abgerichtet, uns zu vertrauen, und nur deshalb konnte der Koitus stattfinden.« Jakulowitsch kramte eine Mandarine aus seiner Hosentasche und winkte damit dem in der Ecke kauernden Geschöpf. »Boris, moj drug, ja prinestil plody!«
    Der alte Orang-Utan nahm die langen Arme von seinem haarigen Gesicht und spähte mit blutunterlaufenen Augen aus den dunklen Tiefen seines Gefängnisses. Dann schlurfte der Menschenaffe quälend langsam zur offenen Tür des Käfigs und in den grellen Lichtschein der Außenbeleuchtung. Aus seinen Augen sprach eine Traurigkeit, wie Julia sie noch nie gesehen hatte. Tiefschwarz und unergründlich, wie ein Kohlebergwerk des Kummers. Sergej Jakulowitsch streichelte dem Orang-Utan die Stirn.
    »Sehen Sie, er ist völlig zahm. Inzwischen natürlich auch sehr alt. Nicht mehr an Mädchen interessiert!« Der Institutsleiter lachte. »Aber früher, in seiner Jugend, war er unser vielversprechendster Affe. Er hat drei Frauen befruchtet. Mit ihm sind wir unserem Ziel am nächsten gekommen. Aber das war, bevor der Laden hier mehr oder weniger dichtgemacht wurde. Ein Trauerspiel.«
    Der Orang-Utan sah Jakulowitsch an. Er schnüffelte, sog prüfend die Luft ein. Dann drehte er sein breites, plattes Gesicht und schnupperte in Richtung Julia. In Richtung ihres Gesichts und ihres Bauchs. Sie wich zurück.
    Der Affe folgte ihr.
    »Keine Angst«, sagte Jakulowitsch gut gelaunt. »Boris tut niemandem etwas.«
    Angewidert starrte Julia auf den Unterleib des Affen, wo eine kleine Erektion sichtbar wurde.
    Der Institutsleiter sah Julia fragend an.
    »Miss Kerrigan, haben Sie starke Pheromone? Bekommen Sie vielleicht demnächst Ihre Menstruation? Das ist höchst ungewöhnlich. Er spricht auf Sie an.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Bitte. Das ist abstoßend.«
    Jakulowitsch stutzte. »Aber wieso? Was soll daran abstoßend sein?« Auf seinen Lippen lag ein verständnisloses Grinsen. »Das ist Wissenschaft!« Er wirkte gekränkt. »Wenn Ihnen schon das unangenehm ist. Sie sollten mal sehen, was die Chinesen machen!«
    »Wie soll ich das jetzt bitte verstehen?«
    Jakulowitsch zuckte mit den Achseln. »Genau so, wie ich es gesagt habe. Die Sowjetunion hat in den achtziger Jahren, als wir sogar zu wenig Geld hatten, um uns selbst zu verteidigen, ihr gesamtes Datenmaterial an die Chinesen verkauft. Deshalb wollte ich auch von Barnier wissen, was aus unserer Forschungsarbeit geworden ist, wie man sie in China weitergeführt hat. Leider wollte er sich dazu nicht näher äußern; er hat sich sogar strikt geweigert. Aber zumindest so viel hat er mir verraten.« Jakulowitsch seufzte vielsagend. »Er hat durchblicken lassen, dass die Chinesen schon wesentlich weiter sind. Ja, ja, wer weiß, was sie gemacht haben, Miss Kerrigan. Die Chinesen! Kennen keinerlei Skrupel, diese Leute. China ist das Römische Reich der Jetztzeit, das irgendwann einmal über uns alle herrschen wird!«
    Der alte Russe wandte sich wieder seinem Lieblingsgefangenen zu und streichelte dem Affen die Stirn, redete auf Russisch zärtlich murmelnd auf ihn ein. Julia war überwältigt von der Trostlosigkeit ringsum. Es hatte wieder leicht zu nieseln begonnen, der Gestank der Exkremente war allgegenwärtig, der Orang-Utan streichelte seinen knallroten Penis, und das kleine Rhesusäffchen rannte immer noch panisch kreischend in seinem Käfig auf und ab. Julia blickte in die traurigen Augen des Orang-Utans. Tief bedrückt und feucht von Tränen, aber ohne Schuld. Es war kein Gewissen in diesen Augen, nur Kummer.
    Kummer. Und Libido. Und blinde Wut.
    Es ging alles blitzschnell. Ehe Julia wusste, wie ihr geschah, segelte Jakulowitsch rückwärts durch die Luft, der lange kräftige Arm des Orang-Utans schoss an ihm vorbei, und im selben Augenblick stürzte der Affe, wie ein dunkler, schwerer Blitz aus heiterem Himmel, auf sie

Weitere Kostenlose Bücher