Bibel der Toten
der Schwarzen Khmer im Hinterkopf – trepaniert, lobotomisiert und gottlos, wie sie waren … in der Ebene der Tonkrüge.« Es folgte ein weiterer gemurmelter Wortwechsel mit der OP-Schwester. Dann drehte sich der Chirurg wieder zu Jake. »Jetzt ist es so weit. In ungefähr neunzig Sekunden hat die Kryosonde die richtige Temperatur erreicht. Wenn Sie es sich also noch einmal anders überlegt haben sollten, ist jetzt die letzte Gelegenheit, um es mir zu sagen.«
Jakes Puls spielte verrückt; sein Herz zersprang fast vor Angst. Er unterdrückte seine Panik mit einer weiteren Frage.
»Nein. Aber ich wüsste gern, warum Sie die Operationen trotz Ihrer Zweifel weiterhin durchgeführt haben.«
Fishwick nickte. Mit den hellen Lichtern im Hintergrund war sein Kopf nur noch als verschwommener Umriss zu erkennen.
»Weil ich mir weiter eingeredet habe, mein Tun wäre richtig … entgegen der zunehmenden Zahl gegenteiliger Beweise. Nicht umsonst gibt es so viele stichhaltige und einleuchtende darwinistische Erklärungen dafür, warum sich so etwas wie Religiosität entwickelt hat. Zugleich lagen mir konkrete Beweise für die Notwendigkeit, zu glauben, vor. Gläubige Menschen sind gesünder und glücklicher, sie leben länger, sie haben sogar leistungsfähigere Immunsysteme. Das ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, die mich sehr … verunsichert hat.« Die OP-Schwester rief Fishwick zu einem größeren Apparat, der aussah wie ein EKG-Gerät. Nach einem kurzen Wortwechsel mit der Frau wandte sich der Chirurg wieder Jake zu. »Dann bin ich bei meinen Forschungen erst vor kurzem auf ein weiteres höchst eigenartiges Phänomen gestoßen. Menschen, die am Parkinson-Syndrom leiden, und sei es auch nur in ganz schwacher Form, sind mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht gläubig.«
Die Schwester stand mit der Gummimaske bereit.
»Und das heißt?« Jake klammerte sich an den letzten Fetzen Realität. »Was bedeutet das?«
»Es legt zumindest die Vermutung nahe, dass Atheismus eine Form von Demenz sein könnte. Stellen Sie sich das einmal vor! Atheismus eine Art Psychose, eine Geisteskrankheit. Der gesunde Geist ist – wie wahr – ein Geist, der glaubt.« Ein elektronisches Läuten ertönte. »So, Jake, das ist das Signal. Die richtige Temperatur ist ganz entscheidend. Wenn, dann müssen wir es jetzt tun … sofort. Wir dürfen nicht mehr warten.«
»Moment. Eins möchte ich noch wissen.« Obwohl bereits die Narkosemaske aus Gummi auf seinen Mund gedrückt wurde, spürte Jake den Aufschrei einer Frage in seinem gottlosen Geist. »Ich weiß immer noch nicht, warum. Warum macht es uns glücklicher? Warum sollen wir glauben?«
Doch beantwortet wurde seine Frage vom schwarzen Schweigen der Bewusstlosigkeit.
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W ie fühlen Sie sich?«
»Genauso. Anders. Keine Ahnung.«
Jake war wach. Schlürfte ein heißes Getränk. Er war schon seit einer Stunde bei Bewusstsein, hatte aber die ganze Zeit im Dunkeln gelegen. Jetzt war das Zimmer hell erleuchtet, und Fishwick sah ihn fragend an.
»Vielleicht müssen Sie erst mal sehen … nach draußen gehen. Damit Sie merken, wie Sie reagieren.«
Jake wusste sofort, was Fishwick meinte. Geh raus und wirf einen Blick auf die Welt; geh raus und sieh Chemda an. Finde heraus, ob deine schuldbeladene Seele vor ihrer endgültigen Auslöschung bewahrt worden ist.
Er stand auf. Zu seiner Überraschung befand er sich auch jetzt wieder in erstaunlich guter Verfassung. Er fühlte sich erfreulich stabil und in keiner Weise geschwächt, wie er es nach einem solchen chirurgischen Eingriff erwartet hatte. Hieß das, die Operation war erfolgreich verlaufen? Oder hatte sie lediglich nichts bewirkt?
Immerhin konnte er sprechen. Er war kein sabbernder Idiot.
Er warf sich eine Jacke über die Schultern und verließ das Zimmer. Am Ende des Gangs war das silbern glänzende längliche Rechteck: die Glastür, die auf die Terrasse führte, die Tür, die sich zur Wahrheit öffnete.
Er ging darauf zu, drückte gegen die Glasscheibe und atmete die leichte, dünne Luft von Balagezong. Julia und Chemda saßen an einem der Tische und schauten in seine Richtung. In einem niederschmetternden Sekundenbruchteil stellte er fest, dass er immer noch das Gleiche empfand: nämlich nichts. Er empfand nichts für Chemda.
Diese Erkenntnis war so schmerzhaft, dass es jeder Beschreibung spottete. Sein Gesichtsausdruck musste vielsagend gewesen sein. Chemda wandte sich ab. Sie legte die Hand über die Augen, verbarg ihre
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