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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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nicht. Jake überlegte, ob er es noch einmal versuchen sollte. Sie fuhren zusammen mit Tou und Yeng, dem alten Hmong, in einem Geländewagen nach Süden, ins Herz der Ebene. Damit gingen sie ein enormes Risiko ein, denn um sich anzusehen, was Tou entdeckt hatte, mussten sie Phonsavan verlassen und gegen die Auflagen der Polizei verstoßen.
    Yeng hatte sich ohne Umschweife bereit erklärt, ihnen zu helfen. Anscheinend hasste er die Kommunisten sehr, die Pathet Lao genauso wie die Roten Khmer. Er war ein drahtiger alter Mann, möglicherweise ein ehemaliger Kämpfer, der sich von niemandem Vorschriften machen ließ, aber zugleich etwas Warmherziges und Sympathisches hatte.
    Yeng war ein Hmong Bai , ein sogenannter Gestreifter Hmong, Angehöriger eines der aufsässigsten und kriegerischsten Hmong-Stämme. Jake war klar, was ihn motivierte.
    Aber warum war Chemda plötzlich so waghalsig, so draufgängerisch? Die Polizisten in Phonsavan waren extrem gefährlich; ungeschickt und tölpelhaft zwar, aber gefährlich. Wenn er und Chemda erwischt wurden – und das auch noch mit dem Hauptverdächtigen des Mordfalls –, würden sie sofort abgeschoben, wenn nicht sogar verhaftet, misshandelt und eingesperrt werden. Wie Chemda selbst angedeutet hatte.
    Doch Chemdas abgeklärtes dunkles Khmer-Gesicht war ausdruckslos; nur in den Augenwinkeln machte sich gelegentlich ein nervöses Zucken bemerkbar. Sonst nichts.
    Frustriert schaute Jake aus dem Fenster. Ihm schwante nichts Gutes.
    Der alte Jeep holperte über unbefestigte Wege, die kaum mehr waren als Trampelpfade. Hin und wieder tauchten die Holzhäuser kleiner Hmong-Dörfer vor ihnen auf; sie waren umgeben von großen Reisscheunen, die aus dem allgegenwärtigen Elefantengras ragten. Ihre Dächer waren aus Schilf oder Wellblech und ruhten zum Teil auf dicken, am Ende spitz zulaufenden Metallstützen.
    Mit einem heftigen Ruck – der uralte amerikanische Jeep schoss gerade über einen tiefen Riss in der sonnengetrockneten Schlammpiste – wurde Jake bewusst, dass es sich bei den Stützen der Reisscheunen um Bombenhüllen handelte. Die Hmong verwendeten für den Bau ihrer Scheunen alte Bombenhüllen. Offensichtlich lag hier so viel nicht explodiertes Feldzeug herum – das Metall unzähliger alter Bomben und Artilleriegeschosse –, dass die Hmong das Alteisen für den Hausbau sammelten.
    Bei genauerem Hinsehen konnte Jake überall solche Hinterlassenschaften der Amerikaner sehen: rostige Granatenhülsen, die als Blumentöpfe dienten; Zäune aus Panzerketten; riesige, in der Mitte durchgeschnittene Bomben, die als Ochsentränken verwendet wurden.
    »Jetzt sag schon. Warum gehst du dieses Risiko ein?«
    Endlich. Chemda hatte etwas gesagt. Ihre braunen Augen hielten seinen Blick fest; ihre Miene war ernst, intelligent und undurchschaubar.
    »Weil ich diese Story schreiben will«, antwortete er. »Ich will wenigstens einmal in meinem Leben eine richtig gute Story schreiben.«
    »Und du willst sie unbedingt schreiben?«
    »Ja, unbedingt.«
    »Und das ist der einzige Grund? Nur das?«
    Jake zögerte. Offensichtlich spürte Chemda, dass mehr dahintersteckte; und sie hatte recht. Aber er konnte ihr wohl kaum die Wahrheit sagen. Oder doch?
    Zwei kleine Hmong-Jungen jagten einem Hahn nach – der Jeep bremste gerade noch rechtzeitig, um sie nicht zu überfahren, und brauste sofort weiter. Zum Glück wurde den beiden nicht bewusst, wie knapp sie gerade dem Tod entronnen waren.
    Unwillkürlich musste Jake an seine Schwester denken. Die Schuld war wie ein Brandzeichen auf seiner Stirn, eine hässliche Narbe, die nie verheilte. Er dachte an seine Mutter und an seine Schwester, an ihren Tod. Und daran, dass es in seinem Leben kein weibliches Element gab.
    Es war ein Leben wie im Gefängnis oder beim Militär. Alles derb männlich. Es bestand aus nichts als Bier und Witzen, Gefahr, Ehrgeiz und zynischem Geflachse mit Tyrone. Vielleicht brauchte er allmählich etwas anderes, etwas Feminines, Anmutiges? Der Gedanke kam absurd verfrüht, aber etwas in ihm sehnte sich bereits nach der eleganten, faszinierenden, intelligenten Weiblichkeit dieser starken und resoluten jungen Khmer-Frau, die das klaffende Loch in seinem Leben füllen könnte, den Bombenkrater der Vergangenheit; die in der Lage wäre, das Gefühl von Leere zu vertreiben.
    Eine andere Möglichkeit war, dass er einfach nicht wusste, was er wollte.
    Sie begaben sich immer weiter auf explosives Terrain, in die flachen narbigen Hügel, wo die

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