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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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können.«
    »Ja, das kann ich sogar sehr gut verstehen.«
    Jake wusste, wie es war, wenn sich eine Familie allmählich auflöste und schließlich ganz verschwand.
    Chemda fuhr fort: »Mein Vater starb Jahre später in Kalifornien. Von Selbstmord würde ich zwar nicht gerade sprechen, aber zu sagen, dass er an gebrochenem Herzen gestorben ist, trifft es wahrscheinlich ganz gut. Viele meiner Familienangehörigen wurden von den Roten Khmer ermordet. Die Cousins und Onkel, die überlebt haben, weigern sich strikt, darüber zu sprechen. Mit meiner Mutter ist es dasselbe. Es hat uns als Familie zerstört. Der Einzige, der das Ganze wirklich unbeschadet überstanden hat, ist mein Großvater.«
    Sie sah Jake an. Ihr Blick war aufrichtig und forschend; vielleicht suchte sie nach einem Hinweis, dass ihm diese Wahrheiten anvertraut werden konnten.
    »Und weiter?«
    »Er ist sehr einflussreich, mein Großvater«, fuhr sie darauf fort. »Sovirom Sen.«
    »Sovirom Sen?« Jake hatte schon von ihm gehört. Ein Geschäftsmann aus Phnom Penh. Dezidiert antikommunistisch. Reich. Mächtig. Einflussreich. »Er ist dein Großvater?«
    »Er ist mein Großvater. Er ist der Mann, mit dem die Polizei von Phonsavan telefoniert hat.«
    »Mir hast du aber gesagt, es war jemand von der UN.«
    Chemda schüttelte den Kopf. »Zuerst haben sie es natürlich bei der UN versucht, aber es war mein Großvater, der letztlich den Ausschlag gegeben hat. Unsere Freilassung haben wir vor allem ihm zu verdanken. Aber das wollte ich in der Polizeiwache lieber nicht so laut sagen, nicht so direkt.«
    Langsam verstand Jake. Er setzte sich zurück. Jetzt wurde ihm alles klar. Das war der Grund, weshalb Chemda glaubte, diese Risiken eingehen zu können. Es gab in ihrer Familie einen extrem mächtigen Mann. In einer patriarchalischen Kultur wie der Südostasiens zählte das viel. Es war beinahe das Einzige, was zählte. Ansehen, Geld und männliche Macht. Sovirom Sen. Vorname Sen, Familienname Sovirom, ein eindrucksvoller Name, ein langer kambodschanischer Name. Die meisten kambodschanischen Familiennamen waren kurz, nüchtern und einsilbig. Die rollende Mehrsilbigkeit von Sovirom stand für Geld und Ansehen.
    »Er macht doch in Import-Export, oder?«
    Chemda zuckte mit den Achseln. »Geschäfte mit China. Seine Familie, das heißt wir, zählen, beziehungsweise zählten zur Oberschicht. Es hört sich vielleicht verrückt an, aber so ist es. Wir waren mit Prinz Sihanouk befreundet. Bei der erstbesten Gelegenheit haben die Roten Khmer die Oberschicht und fast das gesamte Bürgertum ermordet. Einfach ausgelöscht. Aber Großvater ist ihnen nicht zum Opfer gefallen. Er hat das Schreckensregime überlebt. Dafür habe ich ihn immer bewundert – und geliebt.«
    »Dann war es also seine Idee, dich hierherzuschicken. Herauszufinden, was mit seiner Frau passiert ist?«
    »Nein.« Chemda schüttelte den Kopf. »Das war meine Idee. Aber er war sehr stolz auf mich.«
    Jake verstummte. Inzwischen war der Weg unglaublich schlecht, extrem schmal und eigentlich gar nicht mehr als solcher zu bezeichnen. Bäume und Sträucher streckten grapschend ihre Zweige durch die Autofenster. Sie schlossen alle Fenster; die Unterhaltung wurde übertönt vom Knacken des Unterholzes, dem Knirschen der Reifen, dem Rucken des Jeeps, der von Fahrrinne zu Fahrrinne schaukelte und dann wieder auf die ratternde Riffelung sonnengetrockneten Schlamms hinaufholperte. Jake beschäftigte noch immer das finstere Rätsel von Samnangs Ermordung. Dass Tou es gewesen war, glaubte er nicht eine Sekunde. Dazu war der Junge nicht in der Lage, und er hatte auch kein Motiv. Aber dann stellte sich die Frage: Wer dann? Und warum?
    »Hier.«
    Sie fuhren aus einem Waldstück in flaches Grasland hinaus. Jetzt waren die großen Steinkrüge ganz deutlich zu sehen.
    Der Jeep hielt an. Yeng stieg aus und deutete mit einem stolzen Lächeln auf den nächstgelegenen Krug. Jake ließ den Blick über die Weiden und die in der Sonne funkelnden Reisfelder gleiten, die sich bis zu den Hügeln am Horizont erstreckten; ein an einer wilden Magnolie festgebundener Wasserbüffel stierte sie mit stumpfer Streitlust an.
    »Ist es hier sicher?«
    Tou nickte und ging voran. »Hier keine Bomben. Yeng sagt, keine Bomben.« Der junge Hmong lief fast. »An anderen Orten Rote Khmer fast alles weggenommen, aber hier Sie sehen noch einiges. Hier. Und hier. Und hier. Bald ist alles weg. Sie wollen das kaputt machen. Aber sie warten, weil Yeng sagt,

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