Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
Vom Netzwerk:
tödlichen goldenen »Bombies« ungezündet unter den Fichten schliefen wie herabgefallene Weihnachtskugeln des Todes.
    »Schon mein ganzes Leben lang«, sagte Jake schließlich, »suche ich die Gefahr. Risiko und Abenteuer. Und ja, auch die große Story.«
    »Und warum? Was steckt in Wirklichkeit dahinter?«
    Ihr Blick hatte etwas Durchdringendes. Plötzlich überkam Jake das starke Bedürfnis, zu beichten, sein Herz auszuschütten, sich den ganzen Kummer von der Seele zu reden, einfach alles auszukotzen; das zerstörerische Gift zu erbrechen wie in seiner Jugend, wenn er, um den Schmerz zu ertränken, zu viel getrunken hatte, bis sich alles um ihn herum drehte und er nur noch so schnell wie möglich nach draußen zu kommen versuchte.
    »Meine Schwester war fünf, als sie gestorben ist. Sie wurde von einem Auto überfahren.«
    »Mein Gott, wie furchtbar. Das tut mir leid.«
    »Bitte sag das nicht. Alle lassen immer so einen Spruch ab. Aber das sind bloß leere Worte.«
    »Okay. Okay. Und?«
    »Meine Mutter hat es noch mehr mitgenommen als uns. Sie war Irin und streng katholisch. Tiefgläubig. Bevor es passiert ist. Aber dann wurde Rebecca überfahren, und für sie brach eine Welt zusammen. Meine Mutter verlor ihren Glauben. Ging nicht mehr in die Kirche. Und irgendwann ging sie nirgendwo mehr hin. Sie …« Es fiel ihm schwer, es auszusprechen, aber er sagte es. »Sie veränderte sich. Als ich neun war, verließ sie uns, mich, meinen Bruder und meinen Vater. Einfach so, über Nacht. Nicht einmal verabschiedet hat sie sich. Sie ist eines Nachts einfach verschwunden.«
    »Mein Gott, Jake, das ist ja schrecklich.«
    »Zehn Jahre später ist sie an Krebs gestorben. Wir haben es von der Polizei erfahren, die zu uns kam, um uns die Nachricht von ihrem Tod zu überbringen. Sie haben uns ins Krankenhaus gebracht. Wir hatten keine Ahnung, dass sie total vereinsamt in einer anderen Stadt gelebt hatte.«
    Chemdas Gesicht wurde von sanft gewellten Hügeln eingerahmt.
    »Irgendwann hatte ich die Schnauze voll von England. Ich wollte nur noch weg, egal wohin, Hauptsache weg. Ich habe das Abenteuer gesucht. Mir war alles egal. Habe Drogen genommen, mich fast umgebracht damit.«
    »Sie war also nihilistisch, deine Reaktion?«
    »Klar. Alkohol, Koks, besoffen klettern, egal, wie hirnrissig es war, ich habe es gemacht. Und dann, irgendwann, kam die Fotografie. Das war mein Ausweg aus diesem Sumpf. Ich wollte einen Job, der mit Risiken verbunden war, verstehst du? Weil … wenn ich mich in Gefahr befand, war ich nicht so deprimiert, dann hatte ich bloß Schiss. Und ich hatte einen Job, eine Ausrede, eine Daseinsberechtigung. Nicht mehr nur Drogen. Deshalb ging ich nach Afrika, in den Süden Russlands, immer dorthin, wo es richtig krachte.«
    »Aber die Story ist dir nie über den Weg gelaufen?«
    »Nein, nichts wirklich Aufregendes. Es gibt eine Menge Typen – auch Frauen –, die das Gleiche machen wie ich. Verrückte Fotografen. Die meisten von denen sind besser als ich. Aber wenigstens kann ich ein bisschen schreiben, sodass ich notfalls allein arbeiten kann … Na ja, es bleibt dabei, diese Typen sind bessere Fotografen als ich und …« Er schaute sie an, er schaute an ihr vorbei auf einen flachen blauen See, umgeben von Büschen mit blauen Blüten und Teakholzhäusern mit Stützen aus alten Bombenhüllen. »Und einige dieser Typen sind sogar noch abgefuckter als ich. Die würden alles machen. Denen ist alles egal. Wirklich. Total kaputt. Völlig im Arsch. Irgendwie deformiert. Auf die eine oder andere Art sind das alles Junkies. Manchmal auch im eigentlichen Sinn des Wortes. Wenigstens davon bin ich zum Glück losgekommen, mit den Drogen ist Schluss. Ich habe eine Abmachung mit dem Schicksal getroffen. Ich habe gesagt, du lässt mir den Alkohol, etwas, womit ich die ganzen Schuldgefühle und den Kummer ersäufen kann, und dafür höre ich mit allem anderem auf. Und so habe ich es geschafft, dieses ganze Familiendrama zu überleben. Jetzt bin ich eigentlich ganz gut drauf. Meistens jedenfalls. Wenn ich nicht gerade von Polizisten bedroht werde.«
    Da. Geschafft. Es war raus. Er hatte gebeichtet. Jake spürte eine gewisse Erleichterung, als wäre eine Last von ihm genommen worden, als wäre er auf einmal in einer besseren und kleineren Welt, in der die Schwerkraft weniger niederdrückend war.
    »Und du?«, sagte er schließlich. »Warum gehst du dieses Risiko ein, Chemda?«
    Sie wurde wieder still. Nachdenklich. Er wusste nicht,

Weitere Kostenlose Bücher