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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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still. Die Bäume wiegten sich im Wind, die Sonne brannte, die Geräusche wurden lauter. Der Wasserbüffel zerrte an seinem Strick. Laute Motorengeräusche kamen auf sie zu. Jake spähte zum Horizont. Dann entdeckte er sie, vielleicht noch fünf Kilometer entfernt. Sie kamen über einen Hügel. Große weiße Allradfahrzeuge. Wie die Geländewagen, die vor Tagesanbruch vor dem Hotel vorgefahren waren: schmutzig, aber neu.
    Die Polizei. Eindeutig die Polizei.
    »Schnell weg«, rief Tou.

7
    D er kalte Wind pfiff heulend um Annikas Häuschen. Das Geräusch hatte etwas Quälendes, als zögen weinende Mütter durch die verlassenen Straßen von Vayssières und suchten verzweifelt nach ihren ermordeten Kindern. Hier, genau im Mittelpunkt der Cham des Bondons.
    Es war das erste mal, dass Julia wieder auf der Cham war, seit Ghislain sie in der vergangenen Woche entlassen hatte. Sie war froh, ihre Freundin Annika wiederzusehen. Aber wie immer verspürte sie ein gewisses Unbehagen in dieser Umgebung. Sie konnte nicht verstehen, warum Annika so nah bei den Megalithen wohnte. Die Cham hatte unbestritten Atmosphäre, aber wieso lebte Annika im einzigen bewohnbaren Haus in einem ansonsten verlassenen Dorf?
    Es war einfach etwas zu unheimlich.
    In diesem Moment kam Annika mit einer Kanne Tee in das niedrige Wohnzimmer.
    »Das habe ich mir in China angewöhnt. Grüner Tee. Cha! «
    Julias Freundin stammte aus Antwerpen. Sie war zweiundsechzig Jahre alt, mit Leib und Seele Archäologin, klug und von dezenter Eleganz. Ihre Muttersprache war Flämisch, aber ihr Englisch war fast genauso gut wie ihr Französisch. Als Julia nach Lozère gekommen war, hatten sich Annika und sie, zwei alleinstehende Frauen in der Machowelt der Archäologie, fast sofort verbündet.
    Mit einer anmutigen Bewegung goss Annika den Tee ein. Julia ließ sich zurücksinken und blickte sich in dem kleinen Häuschen um. Ihr gefiel ausgesprochen gut, wie ihre belgische Freundin es eingerichtet hatte: die Zeichnungen, die Gemälde, die stilvollen Skizzen, die nostalgischen Stiche mit winterlichen Szenen von Schlittschuhläufern auf zugefrorenen Seen. Vielleicht aus Belgien oder Holland.
    Annika setzte sich nicht, sondern kehrte in die Küche zurück, um Kekse zu holen.
    Julia nutzte die Gelegenheit, um sich weiter im Wohnzimmer umzuschauen. Neben den an Breughel erinnernden Winterszenen hingen mehrere Drucke von französischen Höhlenmalereien. Julia erkannte die Löwen von Chauvet und den »Hexenmeister« aus der Grotte des Trois-Frères. An der hinteren Wand des Wohnzimmers ein Bild der Hände von Gargas aus der gleichnamigen Höhle in den Midi-Pyrénées: die Handabdrücke von frühsteinzeitlichen Männern, Frauen und Kindern.
    Wie sie jetzt so in dem gemütlichen alten Häuschen saß, konnte sich Julia immer noch lebhaft an den Tag erinnern, an dem sie die Hände von Gargas zum ersten Mal gesehen hatte. In gewisser Weise waren diese Hände sogar der Grund, weshalb sie hier war.
    Sie war damals erst fünfzehn gewesen. Auf einer langen Ferienreise durch Frankreich waren ihre Eltern mit ihr zu den berühmten Höhlen der Dordogne und des Lot gefahren – nach Lascaux und Cougnac, Rouffignac und Pech Merle – und hatten dort die großartigen Höhlenmalereien besichtigt.
    Julia waren damals beim Anblick der atemberaubenden Bilder, von denen einige vor zwanzig-, zum Teil sogar dreißigtausend Jahren entstanden waren, fast die Tränen gekommen, so tief hatte sie ihre urzeitliche und zugleich zeitlose Schönheit berührt.
    Doch das war erst der Anfang gewesen. Von der Dordogne waren sie weiter nach Süden in die Pyrenäen gefahren, um sich Gargas anzusehen. Und die Hände. Schon in den Höhlen von Cougnac und Pech Merle war sie fasziniert gewesen, aber die Hände von Gargas berührten sie zutiefst.
    Dabei waren es nur die simplen, schlichten Umrisse menschlicher Hände; aber gerade durch ihre Zurückhaltung und Unaufdringlichkeit waren sie so ungeheuer aussagekräftig und ergreifend. Und so lebendig und neu. Es schien, als wäre erst kurz zuvor eine Steinzeitfamilie in die Höhle gekommen und hätte die Hände auf die Felswand gelegt, um dann mit einem Strohhalm Pigmente um die Hand herum auf den Fels zu blasen und so die Umrisse darauf festzuhalten. An einer Stelle der Höhle hatte tatsächlich jemand – zumindest nahmen die Experten das an – ein kleines Kind hochgehoben, damit die kleine Kinderhand neben den Händen der Erwachsenen verewigt werden konnte.
    Warum?
    Und

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