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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Zusammengehörigkeitsgefühl: Sie steckten da gemeinsam drin. Chemda kannte seine dunkelsten Geheimnisse; sie stand ihm inzwischen näher als Tyrone. Außerdem, es ließ sich nicht leugnen, sehnte er sich nach ihrer Freundschaft. Ihrer Wärme. Ihrem stolzen und majestätischen Lächeln.
    »Können wir uns irgendwo treffen?«
    Ihre Antwort war nur ein Flüstern. »Wo?«
    »Das überlasse ich dir, Chem. Möglichst an einem Ort, wo wir nicht auffallen.«
    Nach kurzem Nachdenken schlug sie vor: »Im Tempel hinter dem Hauptmarkt. In einer Stunde.«
    Er erklärte sich einverstanden und beendete das Gespräch.
    Dann verließ er den Schatten des Hauseingangs. Die Stadt starrte ihn teilnahmslos an. Eine Motorradrikscha auf Fahrgastsuche ratterte hupend an ihm vorbei. Jake fühlte sich plötzlich sehr exponiert. Er zog sich in eine schmale Seitenstraße zurück und ging auf der nächsten mit vergammelnden Bananenblättern übersäten Querstraße zur Rückseite seines Mietshauses zurück. Der Brand war inzwischen gelöscht worden. Der Rauch hatte sich verzogen. Nur zwei Schläuche schlängelten sich noch über den Gehsteig; an der Ecke standen ein paar Feuerwehrmänner in nassen gelben Overalls und rauchten.
    Er betrat das Haus durch den Hintereingang und ging zu einer Reihe grauer Metallspinde, die im Treppenhaus standen. Zum Glück waren die Flammen nicht bis zu ihnen vorgedrungen. Rasch schloss Jake einen von ihnen auf und nahm seine Notvorräte heraus: einen Ersatzpass, etwas Geld, ein paar Kreditkarten. Weil er sich gern als rasenden Auslandskorrespondenten sah, hatte er dieses Versteck irgendwann angelegt, um notfalls sofort zum Flugplatz fahren zu können. Er hätte sich nie träumen lassen, dass es sich einmal als so nützlich erweisen sollte – nach einem Anschlag auf sein Leben.
    Er verstaute Kreditkarten und Pass in seinem kleinen Rucksack und machte sich auf den Weg zum Tempel. Er brauchte bange zwölf Minuten. Chemda erwartete ihn auf dem Vorplatz. Ihr Gesicht war schön, und es war dunkel, und ihr Rock war sehr blau. Ihn überkam das spontane – und unberechtigte – Bedürfnis, sie zu küssen. Vielleicht ein von Todesnähe ausgelöstes Aufwallen von Lebensenergie.
    »Jake, wir müssen uns verstecken.«
    »Wo?«
    Chemda berührte ihn an der Hand. Wie eine nervöse Braut, die vor dem Traualtar zaghaft die Rückversicherung des Bräutigams sucht.
    »Ich weiß, wo wir hingehen könnten. Nicht weit von hier ist ein Wohnblock, der meinem Großvater gehört. Eine der Wohnungen dort steht leer; sie steht gerade zum Verkauf. Ich habe einen Schlüssel dafür, Jake – und er weiß nichts davon.«
    Jake schüttelte ihre Hand ab und blickte sich um.
    Auf der Eingangstreppe des Tempels saß ein junger Mönch in einer safrangelben Kutte; träge eine Fliege von seinem Gesicht verscheuchend, schaute er desinteressiert in ihre Richtung. Es war sehr heiß, die Luft war vom Geruch von Räucherstäbchen und verderbenden Früchten gewürzt.
    Chemda hatte den Tempel als Treffpunkt vorgeschlagen, weil hier nicht viele Menschen waren, aber das Ambiente schien schlecht für ihre Zwecke geeignet: blauer Rauch, Sonnenhitze und tiefes Dunkel im Schatten der weit überstehenden Tempeldächer. Und ein schläfriger kahlrasierter Mönch, der sie beobachtete.
    Jake steckte der Anschlag auf sein Leben immer noch in den Knochen. Er wusste nicht, ob er seinem Instinkt trauen sollte, und schluckte die bittere Trockenheit der Beklemmung hinunter.
    Zwei Männer kamen durch das reich verzierte hölzerne Eingangstor und nickten dem Mönch zu. Dann machten sie vor einem knallbunten vergoldeten Schrein eine schwerfällige Verbeugung, einen samphae . Die Männer waren Mitte dreißig und machten einen wohlhabenden und gepflegten Eindruck. Geschäftsleute? In einem Tempel? Als sie wieder gingen, sah ihnen Jake so lange argwöhnisch hinterher, bis er sicher war, dass sie tatsächlich weg waren.
    Chemda suchte spürbar seine Nähe und sagte kleinlaut, aber nicht ohne Nachdruck:
    »Jake, es gibt niemand mehr, dem ich trauen kann. Niemand. Verstehst du?« Sie biss sich auf die Unterlippe, schloss die Augen. »Der einzige Mensch in Phnom Penh, dem ich noch traue, bist du. Du allein. Meine Freunde sind in Amerika, meine Mutter ist … Ich frage mich wirklich, ob sie mich überhaupt kennt. Mich liebt. Meine eigene Mutter. Wie kann eine Mutter so etwas tun? Mir mit den kun krak einen solchen Schreck einjagen? Das verstehe ich einfach nicht. Ich verstehe sie nicht.

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