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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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mit langen dunklen Haaren hin. Aber die körperlichen Voraussetzungen, mit denen wir es hier zu tun haben, können nur das Ergebnis einer intensiven Nahkampfausbildung sein: beim Militär, vorzugsweise bei einer Spezialeinheit. Ein Mann verfügt mit viel größerer Wahrscheinlichkeit über derartige Kräfte und Fähigkeiten. Ein Mann also oder eine Frau. Oder was? Wer ist dieser mysteriöse Mörder?«
    Stirnrunzelnd blickte Rouvier durch das Fenster auf die pompöse steinerne Fassade des Gare du Nord hinaus. Es war ein sonniger Herbsttag in Paris; auf den Straßen wimmelte es von Taxis und Touristen.
    Er wandte sich wieder Julia zu.
    »Hier kommen Sie ins Spiel, Miss Kerrigan. Als ich gestern über alles nachgedacht habe, musste ich an unser Gespräch denken, das wir am Eingang des Krankenhauses geführt haben. An Ihre Fragen.«
    »Unser Gespräch?«
    »Versuchen Sie sich zu erinnern. Sie haben mich gefragt, womit sich Ghislain Quoinelles’ Großvater, der bekannte Professor, vor allem beschäftigt hat, und ich habe Ihnen gesagt, dass es dabei um die Kreuzung von Menschen und Tieren ging.«
    Julia nahm einen weiteren Schluck von ihrem riesigen Cappuccino. Inzwischen war er völlig kalt. Sie stellte die Tasse ab.
    »Aber da war ich doch völlig durch den Wind. Ich habe einfach irgendwelche Fragen gestellt, ohne mir groß etwas dabei zu denken. Sie dürfen das nicht zu ernst nehmen.«
    Rouvier lächelte, sehr nüchtern. »Dennoch, Miss Kerrigan, handelt sich hier um eine Thematik, die in den Sagen und Legenden der Lozère starke Anklänge findet. Nehmen Sie etwa die Werwölfe der Margeride. Deshalb fiel mir auch Ihre Frage wieder ein, als ich mir vor zwei Tagen über die animalische Bestialität der Morde und ihre Begleitumstände Gedanken machte. Und aus diesem Grund habe ich meinen Assistenten gebeten, über die Vorgeschichte dieser Akademiker, dieser überzeugten Kommunisten, die damals nach Kambodscha gereist sind, genauere Erkundigungen einzuziehen.«
    »Was für eine Vorgeschichte?«
    Wieder deutete Rouvier auf das Foto. Aber diesmal zeigte er auf ein anderes Gesicht: das eines jungen Manns, der in der vordersten Reihe saß. »Das ist Marcel Barnier. Vom Sciences Po, dem Pariser Institut für politische Studien.«
    »Und?«
    »Er war und ist möglicherweise immer noch ein Experte auf dem Gebiet der Tierzucht. Hybridisierung.«
    »Soll heißen?«
    »Er ist Experte für die Kreuzung verschiedener Spezies.«
    Julia packte ihren Kaffeelöffel. Sehr fest.
    »Sie meinen … Sie meinen doch nicht etwa …«
    Julia wollte den Gedanken nicht einmal aussprechen. Er war vollkommen aberwitzig. Doch diese Gesichter lächelten im hellen Sonnenschein Phnom Penhs, im dunklen Herzen all dieser Gräuel, während ringsum Millionen Menschen starben – sie lächelten.
    Rouvier setzte sich zurück.
    »Damit will ich selbstverständlich nicht behaupten, dass la Bête de Gévaudan zurückgekehrt ist, um uns heimzusuchen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das wäre eindeutig absurd. Aber was sollen wir andererseits von alldem halten? An den Fakten lässt sich nicht rütteln.«
    Der Polizist sammelte die Papiere ein, legte sie sorgfältig zusammen und steckte sie in seinen Aktenkoffer zurück.
    »Aber jetzt muss ich los. Mein Kollege wartet sicher schon. Unser Zug nach London geht in Kürze. Ich hoffe, ich habe Sie nicht nervös gemacht.«
    Julia schüttelte den Kopf. Rouvier lächelte verhalten.
    »Gut. Das ist gut. Bleiben Sie noch in Paris?«
    »Alex’ Bruder hat hier eine Wohnung. Sie ist gerade frei. Wir sind hier, um … Nachforschungen anzustellen. Archäologische.«
    Julia fragte sich, ob sie Rouvier von ihren Recherchen erzählen sollte, von ihrer Suche nach Prunières. Vielleicht sollte sie ihm von ihren Schädeln erzählen, von den Trepanationen, den Verletzungen der Halswirbel. Die beunruhigenden Indizien passten zunehmend besser zu den Trepanationen und zu Annikas Kopfverletzungen und den Andeutungen ihrer Freundin. Aber vielleicht war das alles nur Zufall; vielleicht war dieser Gedanke vollkommen verrückt. Ein Hirngespinst? Oder vielleicht doch nicht?
    Wie auch immer, sie hatte im moment nicht die nötige Energie, um Rouvier von ihren Entdeckungen und Ängsten zu erzählen. Weder die Energie noch die Zeit, noch den Mut. Sie wollte nur noch weg von hier.
    Der Polizist hielt Julia die Tür auf, als sie das Café verließen. Die Morgenluft war für Anfang November sehr mild, beinahe wehmütig. Er schüttelte ihr die Hand.

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