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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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chaotischen IKEA. Es wurde rasch klar, dass es in diesem Archiv keinerlei Index gab. Es gab nur Material: endlose Metallregale mit Schachteln und Artefakten und Plastiktüten. Akademischer Schutt, vergessener alter Krempel auf dem kuratorischen Dachboden.
    Eine Stunde lang wanderten sie niedergeschlagen durch den riesigen Bau, spähten in Schachteln mit winzigen Bernsteinperlen aus Mauretanien, schauten baff auf eine halbe Vogelgottheit aus Madagaskar. In dieser einen Stunde, wurde ihnen klar, hatten sie vielleicht 0,2 Prozent der Sammlung gesichtet.
    In ihrer Verzweiflung kehrten sie an die Pforte zurück, um den Pförtner um Hilfe zu bitten.
    Der Mann zuckte mit den Achseln, als hätten sie ihn gefragt, ob er weiter spucken könne als ein Lama. Als wäre ihre Frage surreal.
    Schließlich gab der Mann ihrem beharrlichen Drängen doch nach und ließ sich mürrisch zu der Auskunft herab, dass in dieser Krempelkathedrale, diesem Mülllagerhaus, all das untergebracht war, was bei der jüngsten Verlegung des Museums aus dem Palais Chaillot in seine neue Stätte am Quai Branly abgefallen war. Alles, was die Pariser Behörden für zu wertlos oder unwichtig befunden hatten, um im offiziellen Archiv gelagert zu werden, war hier abgekippt worden. Der Franzose benutzte ausdrücklich das Wort für »abgekippt«: vidé .
    Julia blickte die endlos langen Gänge zwischen den Metallregalen des riesig großen kalten Lagerhauses hinunter. Es war aussichtslos. Sie konnten einpacken. Ihre morgendliche Entschlossenheit war zur Gänze verflogen.
    Sie zogen sich in den Lesesaal zurück. Es war ein trostloser Raum, wie ein Klassenzimmer in einer ziemlich armen Schule: ein paar Tische, ein Getränkeautomat. Außer ihnen waren nur zwei weitere Besucher da. Zwei andere willige Gelehrte, die es in die Banlieues der Anthropologie verschlagen hatte. Sie hatten mehrere offene Schachteln vor sich stehen und sahen Akten durch – sie waren in diesem Chaos offensichtlich fündig geworden.
    Julia ging zu einem der Forscher, einem schmalen jungen Mann in einer schwarzen Jeans, der über eine schmutzige, offensichtlich aus Afrika stammende Maske gebeugt war.
    Sie fragte ihn in ihrem besten Französisch, wie er seinen Fund gemacht hatte: wie er die afrikanische Maske in den Millionen Schachteln aufgespürt hatte.
    Der Mann antwortete in aufgekratztem Englisch. Er war Amerikaner.
    »Das ist der reinste Albtraum hier. Deshalb kommt auch niemand her. Es heißt, dass sie erst bis Ende des Jahrzehnts alles sauber archiviert haben. Ich würde allerdings eher auf zwei Jahrzehnte tippen. Aber ich hatte Glück; jemand hat mir genau erklärt, wo ich die Maske finden könnte. Was meinen Sie? Eine Totenmaske der kamerunischen Fang, achtzehntes Jahrhundert, echtes Menschenhaar!«
    Julia wurde die Totenmaske unter die Nase gehalten. Sie lächelte und wich ein Stück zurück.
    Der Mann wandte sich wieder seiner Arbeit zu und sagte: »Wenn Sie die Stelle und das Regal nicht wissen, können Sie die Sache vergessen. So leid es mir tut, aber wenn Sie hier was finden, dann nur durch Zufall. Vielleicht haben Sie ja Glück.«
    So viel Glück hätten sie aber bestimmt nicht. Da war Julia ganz sicher. Sie sah Alex an und zuckte mit den Achseln, dann gingen sie geknickt zum Ausgang. Kurz bevor sie die Tür erreichten, kamen sie an einem weiteren riesigen Stapel Schachteln vorbei. Sie blieb stehen.
    »Was ist, Julia?«, fragte Alex.
    Sie antwortete nicht, sondern blickte nur auf den großen Stapel Schachteln, Dutzende davon, schlampig aufeinandergeschichtet, ohne erkennbare Ordnung.
    Alex fragte noch einmal: »Was ist?«
    Julia war in genügend Bibliotheken und Archiven gewesen, um zu wissen, was dieser Stapel bedeutete.
    »Diese Schachteln warten darauf, in Regale eingeordnet zu werden. Sie enthalten Dinge, die erst vor kurzem untersucht oder der Sammlung hinzugefügt worden sind.«
    »Aha …«, brummte Alex. »Und?«
    »Überleg doch mal! Nachdem wir alle anderen Orte vergeblich abgeklappert haben, ist anzunehmen, dass die Prunières-Sammlung sich hier befindet, irgendwo in diesem Archiv. Wenn diese Sammlung tatsächlich existiert, muss sie in diesem Lagerhaus sein.«
    Alex seufzte mit einem Anflug von Ungeduld. »Na schön. Meinetwegen. Und?«
    »Ghislain hat damals gesagt, die Schädel, die ich gefunden habe, wären am besten in der Sammlung von Prunières aufgehoben. Wenn Ghislain das wirklich so gemeint hat, und es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, müssten die

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