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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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besuchten Moscheen standen.
    Es war trüb und kalt und nass: Ende November. Ihr Ziel war das Ausweicharchiv des Musée de l’Homme: der abgelegenste Außenposten im Reich der Pariser Ethnologie.
    »Ich kannte ihn übrigens«, sagte Alex unvermittelt. »Allerdings nur flüchtig.«
    »Wen?«
    »Hector Trewin.« Das Taxi hatte an einer Kreuzung angehalten. Alex blickte auf ein paar arabische Kids in Inter-Mailand-Trikots hinaus, die träge an einer Ecke standen.
    »Das wusste ich nicht.«
    »Tja, aber es stimmt. Gewissermaßen. Nicht dass wir gute Freunde gewesen wären, aber ich war als Student in einigen seiner Vorlesungen, die er im Balliol College oder im Ashmolean gehalten hat. Und wir haben uns gelegentlich miteinander unterhalten. Er war fast – aber nur fast – so etwas wie eine Berühmtheit.«
    »Und?«
    Alex zuckte lakonisch mit den Achseln. Julia ließ nicht locker, das interessierte sie.
    »Los, erzähl schon! Wie war er, Trewin?«
    »Viele Studenten haben ihn sehr verehrt, diesen großen marxistischen Intellektuellen. Aber mir war er nicht ganz geheuer. Mir war das alles zu theoretisch. Für ihn war die Welt eine rein theoretische Angelegenheit. Frühstück war etwas Theoretisches. Er wollte einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass die praktische Umsetzung des Kommunismus nicht ganz unproblematisch war; für ihn gab es an der marxistischen Theorie nicht das Geringste auszusetzen, weshalb er fest davon überzeugt war, dass sie sich in die Praxis umsetzen ließe und dies eines Tages auch mit Erfolg geschehen würde. Wir müssten es nur beharrlich weiter versuchen. Als ich ihn mal auf Stalin und Mao ansprach, sagte er wortwörtlich: ›Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen.‹«
    Alex lachte bitter.
    »Darauf gab ich zu bedenken, dass sechzig Millionen Menschen möglicherweise ein bisschen zu viele zerbrochene Eier wären. Und dass sein großartiges Omelett aus Gulags, der Lubjanka und den stalinistischen Säuberungen bestand. Aber er hat nur seufzend über mich hinweggeschaut. Er war ein Arschloch, Julia. Tut mir leid. Ein Idealist und Denker, aber letztlich ein Arschloch.« Der Regen streifte die Autofenster. Alex stieß die Wörter hervor. »Ein Arschloch. Wie die anderen auch, diese ganzen soixante-huitards und die Siebziger-Jahre-Radikalen und die CND-Marxisten, diese ganzen Eurokommunisten. Finde ich alle zum Kotzen. Durch die Bank blöde, verbohrte Wichser. Wie kann jemand nach Mao, nach dem ganzen Terror noch Kommunist sein? Das ist genau das Gleiche wie nach dem Holocaust noch Nazi zu sein. Wie konnte jemand zur selben Zeit, in der die Roten Khmer Babys umgebracht haben, Kommunist sein?«
    So unverblümt und aufgebracht hatte Julia Alex selten erlebt. Normalerweise war er auf eine fast schon an Nihilismus grenzende Weise dickfellig und sarkastisch.
    Nach diesem Ausbruch saßen sie erst einmal eine Weile schweigend da. Dann tätschelte Alex ihr Knie.
    »Wie auch immer, Schatz – ich glaube, wir sind da.«
    Sie waren im Archiv der Archive des Musée de l’Homme eingetroffen. Es war ein riesiges graues Lagerhaus, umgeben von Garagen und leerstehenden Bürogebäuden.
    Nachdem sie den Taxifahrer bezahlt hatten, überquerten sie die von Regenpfützen übersäten leeren Parkplätze. Alex sagte, die Gegend erinnere ihn an den IKEA im Norden Londons. Julia überkam das kindische Bedürfnis, sich die Daumen zu drücken. Das Archiv war ihre einzige Hoffnung; es war eindeutig ihre letzte Hoffnung. Sie hatten es buchstäblich schon überall versucht: im Louvre und im Pasteur, in Privatmuseen, im Broca-Archiv. Und jetzt ruhten all ihre Hoffnungen auf einem nichtssagenden Lagerhaus in einer desolaten Vorstadt außerhalb der Pariser Périphérique. Ein letzter Versuch.
    Das einzige offizielle Wesen, das einzige menschliche Wesen, war ein großer bärbeißiger Mann in einer deprimierenden Pförtnerloge mit einem Schiebefenster. Der Hüter des Archivs der Archive.
    »Eh, bonjour« , begrüßte er sie durch das offene Fenster mit einem knappen Nicken. »Et vous êtes?«
    Sie erklärten es dem Mann in schlechtem Französisch. Er kontrollierte ihre Ausweise, gähnte und zuckte sehr gallisch mit den Achseln. »Pas de problem.« Er wandte sich wieder seiner Sportzeitung zu, L’Equipe .
    Mit der ehrfürchtigen Einstellung von Touristen, die sich dem Parthenon näherten, betraten sie die Weiten des Ausweicharchivs des Musée de l’Homme. Es war tatsächlich wie bei IKEA – allerdings einem beängstigend

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