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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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schnell fahren. Auf jeden Fall schneller als die Polizei. Schneller als das Licht. Schneller als das Leben. Ihm war heiß, und er hatte Durst. Die Hitze zehrte an seinen Kräften. Und er konnte nicht mehr länger schweigen.
    »Überleg mal, Chemda. Gab es in eurer Familie jemanden, der auffällig aggressiv war? Oder sonst irgendwie verhaltensauffällig? Wie dieser stumme Hausmeister?«
    »Warum?
    Er zögerte. »Weil …« Er schaffte es nicht, sie anzusehen. »Weil ich inzwischen glaube, eine Erklärung dafür zu haben, warum dieser Ponlok das vorhin getan hat. Er hat doch noch diesen Zettel geschrieben, bevor er sich auf dich gestürzt hat.«
    Chemda sah ihn verständnislos an.
    »Er hat vorher noch geschrieben: ›Ich kann nicht anders. Mich zum Tier gemacht.‹ Er hat uns zu warnen versucht, bevor er es getan hat.«
    »Wie lange davor war das?«
    »Unmittelbar davor.«
    »Heißt das, er wusste, was er tun würde? Dass er über mich herfallen würde?« Sie atmete aus. »Er hat dich zu warnen versucht, und trotzdem …« Die plötzliche Erkenntnis ließ sie erbleichen. »Er war sich des Problems zwar bewusst, konnte aber nicht anders. Es überkam ihn einfach, wie ein unbezähmbarer Drang.«
    »Ja.«
    Chemdas Lippen zitterten. Sie rang mühsam um Fassung. »Aber wie kann diese Hirnoperation oder was sie sonst mit ihm gemacht haben … wie kann dieser Eingriff derart fürchterliche Folgen haben?«
    »Da hätte ich, glaube ich, durchaus eine Idee. Aber nur vielleicht.«
    »Ja?«
    »Wenn mich nicht alles täuscht … nach unserer Rückkehr aus Chiang Rai habe ich mich etwas über frühzeitliche chirurgische Eingriffe kundig gemacht und alles Mögliche über Trepanationen gelesen. Du erinnerst dich doch an die aufgebohrten menschlichen Schädel, die wir in der Ebene der …«
    »Trepanationen?«
    »Das ist der Fachausdruck, wenn menschliche Schädel aufgebohrt werden.«
    »Aha. Und weiter?«
    Jake blickte durch das schmutzige Fenster des Taxis. Der Dschungel entlang der Straße wurde dichter. Mahagoni, Palisan der, Zuckerpalmen. Der Banyanbaum des Buddha. Sie drangen immer tiefer ins Herz des Landes vor: Siem Reap, Angkor Wat, die Wiege der Khmer-Kultur.
    Jake setzte zu seiner Antwort an.
    »Ich bin natürlich alles andere als ein Experte auf diesem Gebiet, aber allem Anschein nach geht man heute davon aus, dass die Frontallappen des Hirns für Selbstbeherrschung und Kontrolle niedriger Emotionen zuständig sind; wenn man also einen Teil der Stirnlappen herausschneidet, entfernt man den am höchsten entwickelten Bereich des Gehirns. Deshalb – aber das ist jetzt nur eine Vermutung – könnte ein solcher Eingriff einen Menschen amoralisch und kriminell machen. Grausam. Brutal. Gewalttätig.«
    »Jemand, der Frauen vergewaltigt.«
    Jake schwieg eine Weile, bevor er sagte: »Ja. Wäre doch vorstellbar.«
    »Die Schädel in der Ebene der Tonkrüge«, murmelte Chemda nachdenklich. »Sie wiesen genau die gleichen Verletzungen auf, Jake. Haargenau die gleichen.«
    »Ich weiß … sie waren immer an der gleichen Stelle aufgebohrt.« Jakes Blick richtete sich auf den Staub am Autofenster. Er dachte angestrengt nach. »Es gibt … beziehungsweise es muss einen Zusammenhang geben. Aber worin er genau besteht, ist mir noch nicht klar. Vor zweitausend Jahren, und dann plötzlich jetzt wieder. Diese hemmungslose Brutalität …« Er sah Chemda an. »Ponlok. Mein Gott, Chemda, ist mit dir auch wirklich alles okay?«
    Sie tastete über den rissigen Kunststoffbezug des Rücksitzes hinweg nach seiner Hand. Und sagte mit einer ziemlich brüchigen Stimme: »Ja. Es geht schon wieder. Ich …« Sie schloss ihre dunklen Augen und öffnete sie wieder. »Danke, dass du mir geholfen hast. Wir haben uns gegenseitig gerettet. Unsere Schicksale sind sich sehr ähnlich. Du hast deine Schwester verloren und ich meine Großmutter … und wer weiß, wen sonst noch.« Ihre zärtlichen Lippen streiften über seine Wange wie ein wärmender Hauch, vergänglich und flüchtig. Sie setzte sich wieder zurück. »Wir sind uns sehr ähnlich.«
    Jake wünschte sich so sehr, das glauben zu können, aber zugleich fragte er sich, fast gegen seinen Willen, ob es tatsächlich stimmte. Etwas in ihm widersetzte sich dieser Gleichsetzung. Waren sie sich wirklich so ähnlich? Standen sie tatsächlich eindeutig auf der gleichen Seite? Obwohl er auf dem besten Weg war, sich in sie zu verlieben, gab es irgendetwas in ihm, was ihr immer noch nicht ganz vertrauen wollte oder

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