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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Folter der Sonne erlöste, erreichten sie Siem Reap.
    Jake war, wenn auch nur kurz, schon einmal hier gewesen. Ein reizendes indochinesisches Städtchen, ein wenig wie Luang Prabang, mit Hotels und Bädern und mondbeschienenen Wegen, außerdem klongs und Nachtmärkten, die alle dem Zweck dienten, die Millionen von Touristen zu beherbergen und zu verköstigen, die die historischen Stätten der Umgebung heimsuchten: die großartige Anlage von Angkor Wat mit den prachtvollen Tempeln und Palästen Jayavarmans und Suryavarmans, die inmitten des wild wuchernden Dschungels vornehm vor sich hin gammelten.
    Aber sie waren nicht zum Sightseeing hier. Sie parkten am Rand des größten Nachtmarkts der Stadt, an dessen Ständen dicke hölzerne Buddhas, antike Räucherstäbchenhalter und Raubkopien thailändischer Horrorfilme verkauft wurden. Vor allem ein Bild lenkte Jakes Aufmerksamkeit auf sich: eine DVD mit dem Titel Dämonische Schönheit , auf deren Hülle ein abgetrennter Frauenkopf abgebildet war, von dem, einem grausigen Brautschleier gleich, Eingeweide, Wirbelsäule und Lunge hingen. Jake wandte sich ab.

    Sonisoy erwartete sie in einem Hauseingang. Er sah aus wie Chemda als Mann verkleidet. Größer, älter, ähnlich gut aussehend, mit dem kahlrasierten Schädel des Mönchs, der er einmal gewesen war. Er wirkte durch und durch wie ein Khmer, sprach aber tadelloses Englisch mit amerikanischem Akzent.
    Sie schüttelten sich die Hände. Die von Jake zitterten immer noch, und er versuchte mühsam, sich zu beruhigen. Sonisoy führte sie um die Ecke in ein von Räucherstäbchenduft erfülltes Holzhaus voller chinesischer Papierlampions und mit Fotos des Tempels von Ta Prohm an den Wänden.
    Er servierte ihnen roten Khmer-Tee und hörte sich Chemdas Geschichte aufmerksam an, ohne sie in ihrem Monolog ein einziges Mal zu unterbrechen. Seine Miene war nüchtern. Zum Schluss nickte er.
    Dann reichte er ihnen Khmer-Süßigkeiten: nom krob khnor , transparente Gelatineklumpen mit einer gelben mungbohne in der Mitte, wie ein gesüßtes kleines Embryo in Plazenta. Jake wurde fast übel. Er sehnte sich nach zu Hause, nach England. Er sah die starren trüben Augen der Rauchbabys vor sich und die widerlich pulsierende Narbe des Hausmeisters; er sah nichts als Blut und Tod, die ausdruckslosen Augen seiner Schwester, das geisterhafte Lächeln seiner Mutter, die …
    Er riss sich zusammen. Drehte am Lenkrad seines Verstands. Er war kurz von der Straße abgekommen und in unwegsames Gelände geraten, in die Minenfelder, wo die Blindgänger der Vergangenheit lauerten.
    Dann wurde es still im Raum. Chemda war mit ihrer Geschichte fertig. Sonisoy stellte seine Teetasse ab. Durch die Fensterläden drang ganz schwach das nächtliche Rauschen Siem Reaps.
    »Ich verstehe«, sagte er. »Und wenn mich nicht alles täuscht, kann ich sogar ein paar Informationen beisteuern, die das Rätsel zu lösen helfen.«
    »Ja?«, sagte Chemda aufgeregt. »Inwiefern?«
    »Ich glaube …« Sonisoy seufzte. »Wenn ich mir so anhöre, was du erzählst, Chemda, fällt mir spontan noch jemand ein, der wahrscheinlich Opfer solcher Experimente wurde. Ein anderes Familienmitglied. Jemand, der uns nahesteht, Chemda. Sogar sehr nah.«
    Chemda sagte nichts. Sie starrte stumm in das Schummerlicht, auf den glattrasierten Schädel ihres Onkels, der jetzt im Kerzenschein nur noch als Silhouette erkennbar war. Sie hielt eine Hand an den Mund, und über ihre Augen legte sich ein feuchter Schimmer. Sie kannte die Antwort bereits.
    »Mein Vater? Auch er?«
    »Ja, dein Vater, kleine Chemtik.« Sonisoys Lächeln war sehr traurig. »Mein Bruder. Überleg doch mal, wie er gestorben ist.«
    Die darauffolgende Stille drohte alles zu erdrücken. Die Schale mit den Mungbohnen in ihren durchsichtigen Geleekokons glänzte matt im Kerzenlicht.

22
    D er Kopf schwebte im nichts. Ein körperloser schwebender Frauenkopf mit einem Trauerflor aus schwarzer Gaze, oder waren es Haare? Der von Dunkelheit umschlossene Kopf saugte und nuckelte an ihm, lutschte lüstern an seinem Penis, wie Kali Kra, raubtierhaft und gierig mit ihren speicheltriefenden weißen Zähnen; und immer weiter leckte sie mit ihren zwei Zungen, eine schwarz, eine blutrot, an seiner Erektion; es war schmerzhaft und himmlisch zugleich und entlockte ihm lustvolle Schreie.
    Er wollte nicht, dass die Frau, die Hexe, die Spinnenhexe, die Apsara damit aufhörte; sicher war es Chemda, die ihm einen blies, ihm Lust bereitete, ihn wieder

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