Bienensterben: Roman (German Edition)
erzählt nichts Näheres dazu, aber Vlado hat sie beim Joggen gefunden; sie war beinahe katatonisch. Nelly kümmert sich seitdem um sie. Sie ist eine richtige kleine Krankenschwester und sehr interessiert an allem, was Vlado weiß. Er ist Lehrer für Naturwissenschaften und hilft Marnie beim Lernen. Die arme Marnie, im Moment hat sie offenbar jede Hoffnung verloren, starrt ins Nichts, raucht nicht, trinkt nicht und isst nichts. Ich mache mir wirklich Sorgen.
Vlado wusste nicht, wo Marnie wohnt, und kannte auch ihre Geschichte nicht. Er wusste nicht einmal, wer Nelly ist oder wer ich bin. Aber das ist alles nicht halb so traurig wie seine Geschichte. Die Tochter auf dem Schulweg von einem Scharfschützen erschossen, die Frau in der Schweiz, will die Scheidung, und die Eltern vor dem Krieg gestorben. Jetzt ist er ganz allein, aber Gott sei Dank war er im Park. Er hat Marnie bis nach Hause getragen.
Wie ich höre, hat sie bei ihm sauber gemacht, obwohl ich ihn nicht wie jemanden eingeschätzt hätte, der eine Putzfrau braucht. Ich nehme an, Marnie erinnert ihn an seine Tochter und er will ihr helfen, und sie kann weiß Gott Hilfe gebrauchen.
Und was er für ein inniges Verhältnis zu Nelly hat. Auf jedes Wort von ihr lächelte er. Das Kindsein liegt ihr, und sie ist irre komisch dabei. Ich glaube, es hat ihm gefallen. Ihr auf jeden Fall, das weiß ich genau.
Robert T. Macdonald ist momentan meistens in seiner Werkstatt, man sieht und hört nicht viel von ihm. Die Mädchen haben so eine Wut auf ihn. Es ist schwer zu sagen, wo sie Vergebung finden werden. Ich konnte es gar nicht glauben, als sie mir erzählten, was er getan hat, dass er seine Tochter vor Jahren schon einmal gefunden hatte, oder besser gesagt, sie ihn, und dass er sie mitsamt ihrer beiden kleinen Kinder wieder weggeschickt hat. Schämen sollte er sich. Ich will gar nicht wissen, was er sich jetzt erhofft.
Ich weiß nicht, was die Zukunft für uns alle bereithält. Die Traurigkeit lässt mich nicht schlafen. Es fühlt sich an, als hätte ich eine faulende Frucht im Kopf.
Hoffentlich kommt Marnie bald herunter. Sie ist immer noch oben und hört auf ihrem iPod Musik, sehr laute Musik. Die Worte prasseln ihr in die Ohren, hämmernde Lieder über Menschen, die niemals sterben. Das ist nicht gesund für so ein Mädchen. Das ist überhaupt nicht gesund.
Nelly
Wer ist dieser Kirkland Milligan überhaupt? Ein elender Schuft ist er!
Und erst die Fremden, die sie kennt. Angst und Bange kann einem da werden.
Ich habe sie jetzt eine gute Woche lang versorgt. Ein gebrochenes Herz ist offenbar kein Spaß. Ich habe ihr Suppe eingeflößt; das Hühnchen dafür hatte ich selbst besorgt, darf ich hinzufügen. Wie sie tropft. Später habe ich ihr das Haar gekämmt. Das Gesicht gewaschen. Alles in ihrem kleinen Bett.
Dann habe ich ihr ein Lied von Nana Lou vorgesungen, doch es kam nicht einmal ein armseliges Lächeln. Undankbare Weibsperson. Da hatte ich die Nase gestrichen voll, besonders als sie dann nach der sentimentalen Musik griff, die sie so mag.
»Nun reiß dich gefälligst zusammen, ja?«, sagte ich zu ihr. »Ich glaube, ich habe gerade Lennies Hund zu Tode befördert.«
Das entlockte ihr dann doch eine Regung. Sie warf ihren geliebten iPod nach mir, aber Herrgott noch mal, was hätte ich denn tun sollen, der Hund fraß unsere Mutter und unseren Vater. Unerträgliches Vieh.
Marnie
Sie hat gesagt, sie hätte Lennies Hund umgebracht, war aber Quatsch. Sie hatte ihn versehentlich mit einem kleinen Brett erwischt. Angeblich hatte er wieder die ganzen Beete aufgewühlt und sie wollte ihn wegjagen. Zum Glück dachte Lennie, es wären die Typen gewesen, die ihm immer die Wände vollsprühen. Der arme Bobby hatte tagelang einen Verband um den Kopf.
»Ich nahm ein kleines Brett, um ihn damit zu verjagen, doch er sprang an mir hoch, und da verpasste ich ihm versehentlich einen Schlag auf den Kopf. Er ist wirklich ein lästiger Hund, Marnie. Was sollen wir bloß mit ihm machen?«
»Tja, umbringen geht ja wohl schlecht. Lennie liebt ihn«, sag ich für den Fall, dass sie das vergessen hat.
»Aber was sollen wir denn sonst tun? Die Sache pressiert.« Sie stöhnt.
»Weiß ich doch nicht!«, schreie ich.
»Das ist ja wohl kaum eine Lösung«, sagt sie.
»Na, dann müssen wir uns halt eine ausdenken.«
Ich betone das wir , weil ich keinen Bock mehr hab, dauernd die Miss Allwissend für sie zu spielen. Ich bin zu müde, um den Tag noch rauszureißen, und es
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