Bienensterben: Roman (German Edition)
mich.
Nelly
Ungeheuerlich, dass dieser Schuft sich ihr noch zu nähern wagte nach allem, was er ihr angetan hatte, aber er näherte sich ihr, noch dazu in einem schäbigen schwarzen Jackett. Dieser dahergelaufene Kerl. Sie setzten sich auf die Schaukeln; ich wurde derweil aufs Karussell verbannt. Das geht nicht gut mit diesem Burschen, ich weiß es genau.
Er nimmt ihre Hand, sie hält seine. Er beugt sich zu ihr, seine Lippen berühren ihre. Wie kann sie nur, ich verstehe es nicht. Sie spielt mit seinem Haar. Sie stehen von den Schaukeln auf. Sie umarmen sich und küssen sich erneut. Er flüstert ihr etwas zu. Sie bleibt unvermittelt stehen. Sie schüttelt den Kopf und stößt ihn von sich. Er flucht auf sie. Sie will gehen, er zieht sie zurück. Sie kommt zu mir gerannt, stolpert und fällt hin. Ich eile zu ihr und reiche ihr die Hand, sie hat sich eine üble Schramme zugezogen. Er kommt auf uns zu.
»Oh Gott, Marnie, das tut mir voll leid.«
Er hockt sich neben sie auf den Boden, und das Rinnsal von Blut aus ihrem Knie wirkt durch den verflixten Regen noch schlimmer, und wir haben nicht einmal einen Schirm. Hier regnet es immer. Regnet und pladdert.
Dieser Schurke. Dieser elende Schurke.
Er greift grob nach ihrem Gesicht. »Die Benzos haben nichts mit dir zu tun. Ich krieg das in den Griff, wirklich, ich brauch nur ein paar. Rede mal mit Mick.«
Sie reißt sich los. »Lass mich in Ruhe«, flüstert sie.
Wir hinken durch den Regen nach Hause. Wenn ich mich recht erinnere, hat es seit einer Woche nicht mehr aufgehört.
Marnie
Ich wollte, dass Kirkland es ernst meint, und als mir klar wurde, er meint es nicht ernst, wollte ich mich trotzdem noch in seine Arme werfen. Nur noch ein paar Minuten mit ihm, die würden alles ändern, dachte ich, aber sie hätten überhaupt nichts geändert, ich erkenne Gift, wenn ich welches vor mir hab, wenn ich bei Gene und Izzy eins gelernt hab, dann das, aber dann hat mich das Schwache in ihm angezogen und ich hab ihn trotzdem geküsst. Es war der letzte Kuss, aber das wusste ich da noch nicht, weil niemand vorher weiß, wann es der letzte Kuss mit jemandem ist, der einen verlassen will, und wenn man Jahre später danach gefragt würde, wüsste man wahrscheinlich nicht mal mehr was davon, außer wenn man so masochistisch veranlagt ist, dass man um einen letzten Kuss bittet. Als ich Nelly da auf dem Karussell sitzen sah, kam es mir bescheuert vor, dass ich ihn noch mal schmecken wollte, aber er wirkte irgendwie stärker als vorher, auch wenn das gelogen war. Als er dann nach den Jellys gefragt hat, hab ich mich mies gefühlt, weil ich Nellys Hühnersuppe abgelehnt hatte. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, um mich vor so was zu beschützen. Klar wünscht sich jedes Mädchen, sie könnte eins von diesen Popstar-Babes sein, fröhlich mit den Händen wedeln und davon singen, wie stark sie sind und dass sie es überleben werden, aber wenn links neben dir die Liebe sitzt und rechts die Einsamkeit, ist es schwer, mit dem Küssen und Streicheln aufzuhören. So ist das wohl, wenn Schluss ist, wenn man verdammt noch mal nicht will, dass Schluss ist, und von vorn anfangen und alles wieder geradebiegen will.
Wenigstens bin ich gegangen. Ich weiß nicht, wie, aber ich hab’s gemacht, vielleicht weil Nelly auf mich gewartet hat, ich konnte sie ja nicht einfach da im Park sitzen lassen. Wobei es natürlich vielleicht auch umgekehrt war. Sie ist ziemlich erwachsen geworden in letzter Zeit. Ich bin froh darüber.
Trotz Regen waren wir sofort zu Hause. Ich hatte ein aufgeschrammtes Knie und nasse Haare. Und Lennie an der Backe, der wissen wollte, wo zum Teufel ich denn gesteckt hätte.
»Es ist doch Filmabend«, hat er gesagt. Und so war es. Er hatte Popcorn gemacht.
Nelly
Man kann sich wunderbar heimisch fühlen auf den Marmorböden der Mitchell Library. Wenn man nicht wüsste, wohin es geht, könnte man sich ordentlich verlaufen in dem reich verzierten Gebäude, aber ich weiß, wohin es geht, und zwar überallhin. Ich könnte stundenlang von einem Ort zum nächsten wandern. Ich habe kein bestimmtes Ziel im Kopf, mal nehme ich mir in einem Raum eine Zeitung, mal erforsche ich in einem anderen die Vergangenheit. In der Bibliothek fühle ich mich wohl.
Nur heute nicht.
Zuerst habe ich ihn gerochen, ein verstörender Geruch nach heimlichen Zigaretten zwischen Sägemehl und Eichenholz. Ich konnte es nicht glauben, dass er mich ausgerechnet am zauberhaftesten aller Orte aufgespürt
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