Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
der laut Obduktionsergebnis gar keiner war. Auch wenn ihm das Schicksal der geheimnisvollen Frau zu Herzen ging, war sie allem Anschein nach für die Ermittlungsarbeit nicht von Bedeutung. Mit ein paar nächtlichen Telefonanrufen hatte er Leuten zugesetzt und sich bestätigen lassen, dass die Verschwundene seit einem Jahr wegen mehrerer Selbstmordversuche in psychiatrischer Behandlung war.
Plötzlich schrillte das Handy. Unheimlich und laut. Das Läuten ließ ihn zusammenzucken. Langsam zog er die Decke beiseite und setzte sich auf die Bettkante. Sein verknitterter, grün-weiß gestreifter Schlafanzug kam zum Vorschein. Er ließ sich Zeit, zog die heruntergerutschte Hose etwas nach oben, dann griff er zum Telefon. Hätte er einen Wunsch frei, schoss es ihm durch den Kopf, würde sich Selma nun, von dem nächtlichen Anruf geweckt, neben ihm im Bett aufrichten und ihn mit müden, vorwurfsvollen Augen ansehen. Er stellte sie sich auf der leeren Bettseite vor, mit den langen Haaren, die sie nachts offen trug, weil er es so liebte.
Bevor er den Anruf annahm, hörte er ein leises Klopfen. Die Schlafzimmertür öffnete sich vorsichtig. Jale verharrte bei der Tür, offenbar hatte sie das Telefon gehört.
»Haben Sie sie gefunden?«, fragte sie besorgt.
Er bedeutete ihr, einzutreten, dann drückte er auf die Taste des Handys. »Demirbilek.«
Er lauschte, ohne sich anmerken zu lassen, was die Bereitschaft des Kriminaldauerdienstes zu berichten hatte. Jale setzte sich während des Gespräches vorsichtig zu ihm auf die Bettkante.
»Danke für den Anruf. Gute Nacht.« Er legte das Handy zurück neben das Bett. Jales fragender Blick störte ihn. Er wäre lieber allein gewesen.
»Sie hat sich vor eine S-Bahn geworfen.«
Cengiz starrte auf den Parkettboden. »Wo?«, fragte sie nach einer Schrecksekunde.
»Ist doch völlig egal«, antwortete Demirbilek müde.
In seiner Gefühlswelt wirbelte ein Tornado. Er fühlte sich schuldig am Freitod der Fremden. Der einzige Trost war der Hinweis, dass Ömer Özkan keinen Alkohol trank. Zumindest nicht freiwillig, setzte er in Gedanken hinzu.
19
N ur wenige Stunden später stand Demirbilek vor einem bescheidenen Einfamilienhaus in Berg am Laim, einem der bodenständigen Stadtteile Münchens. Zum zweiten Mal drückte er die Klingel über dem bunten, von Kinderhand gestalteten Namensschild. Die umliegenden Häuserzeilen mit den Eisenbahnerwohnungen verliehen dem Viertel einen tristen Charme. Das Wetter unterstrich den Eindruck. Dicke, schwarzgraue Wollknäuel verdrängten die morgendliche Augustsonne. Demirbilek verfluchte den Sommer, der es nicht wert war, als Kalendereintrag zu existieren. Er vertiefte sich in die Betrachtung des Vorgartens, der zu seinem Gefallen nicht das Aushängeschild der Hausherrin zu sein schien. Im Plastiksandkasten türmte sich Spielzeug. Fußbälle lagen im Gras. In der Hecke entdeckte er eine vergessene Frisbeescheibe.
Abgehetzt öffnete Gerichtsmedizinerin Dr. Sybille Ferner die Haustür. Demirbilek erschrak ob ihres Anblicks. Sie empfing ihn in einem hautengen, roten Fahrradanzug mit blauen Streifen und trug einen Helm über den natürlich blonden Haaren.
»Zeki! Es ist Samstag!«, warf sie dem Kommissar ohne Umschweife und Begrüßung vor. »Woher weißt du eigentlich, wo ich wohne?«, fügte sie hinzu, als ihr einfiel, dass der türkische Kollege nie bei ihr gewesen war. Wie auch? Sie gab von ihrem Privatleben nichts preis.
»Der Tote aus dem Brunnen. Du musst ihn noch mal untersuchen«, überfuhr Demirbilek sie mit seinem Anliegen.
Ferner trat einen Schritt auf ihn zu und schloss die Tür hinter sich. »Du hast doch den Bericht. Da ist nichts. Er war schwer alkoholisiert und ist ertrunken. Such lieber die, die nicht geholfen haben. Das ist das eigentliche Verbrechen.«
Demirbilek nahm die Gefahr in Kauf, sich unbeliebt zu machen, als er sagte: »Sybille, tu mir den Gefallen und nimm den saublöden Helm ab. Du bist eine schöne Frau und verunstaltest dich mit dem Ding auf dem Kopf.«
Ferner verzog die Mundwinkel. Sie riss sich zusammen, dem Kollegen, der sich Frauen gegenüber durchaus abschätzig verhalten konnte, nicht vor Freude um den Hals zu fallen. Es war lange her, seit ihr ein Mann mit einem Kompliment geschmeichelt hatte, war sie doch im dritten Jahr alleinerziehend.
»In fünf Minuten brechen wir zu einer Fahrradtour auf«, erklärte sie. »Helm muss sein. Wegen der Kinder.« Dann tat sie ihm den Gefallen, löste den Schnappverschluss
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