Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
Seufzer folgte Cengiz ihrem Chef zu der Frau. Sie saß auf einem Barhocker im hinteren Bereich. Das Glas Bier vor sich hatte sie nicht angerührt. Sobald Demirbilek ihr gegenüber Platz genommen hatte, legte sie ihr Kopftuch ab. Die hellbraunen Haare waren mit rötlichen Hennasträhnen durchsetzt, die dunklen Augen glänzten erschöpft. Der gebeugte Körper, die Art, wie sie sich klein machte und duckte, stach dem Kommissar ins Auge. Ich brauche Hilfe, willst du mir sagen, mutmaßte er.
»Ich bin Zeki Demirbilek.« Dann deutete er auf seine Kollegin: »Das ist Jale Cengiz.«
Sie nickte der Frau zu, die mit sorgenvoller Miene aufblickte. Demirbilek hatte inzwischen die Unbekannte auf etwa dreißig Jahre geschätzt. Wobei es ihm schwerfiel, sich festzulegen. Sie wirkte verhärmt auf ihn. Ausgetrocknet. Unzufrieden. Traurig.
»Ömer und ich waren befreundet. Wir kennen uns vom Filmstudium«, begann sie.
»Ein Anfang«, meinte Demirbilek aufmunternd. »Und weiter?«
»Warum habe ich Sie heute nicht im Seminar angetroffen?«, quäkte Cengiz dazwischen.
Die Frau nippte an dem Bier. »Ich war krank«, erklärte sie anschließend.
»Gut. Also, erzählen Sie weiter«, übernahm Demirbilek wieder.
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass er betrunken gewesen sein soll. Das kann nicht sein. Ömer hat keinen Alkohol angerührt.«
Der Kommissar wollte abwarten, bis der Wirt, der sich mit zwei Wassergläsern von seiner Theke losgeeist hatte, an ihren Tisch gekommen war. Doch da vernahm er neben seinem Ohr Cengiz’ entnervte Stimme.
»Denken Sie nach, bevor Sie antworten. Wir werden Ihre Aussage überprüfen. Woher wissen Sie, dass wir in der Sache ermitteln? Offiziell war es ein Unfall.«
»Ich war beim Brunnen. Ich habe Sie gesehen. Sie sind doch Türke wie Ömer, oder?« Bei den Worten sah sie den Kommissar an.
Der Wirt stellte die Gläser ab und ging zurück zu seiner Theke. Demirbilek nickte ihm dankend zu. Er war verblüfft, wie verbissen Cengiz das Verhör führte.
»Sind Sie eigentlich immer so?«, fragte die Frau mit entwaffnender Hilflosigkeit in der Stimme.
»Wie meinen Sie das?«, entgegnete Cengiz. Sie schien ihren harten Tonfall nicht zu bemerken.
»Sie fauchen mich an, als hätte ich mit Ömers Tod etwas zu tun«, antwortete sie mit brüchiger Stimme.
»Haben Sie das denn nicht? Woher wussten Sie, dass er am Brunnen ist?«
»Das war sein Lieblingsplatz in München. Ich habe ihn nicht erreicht, daher dachte ich, er ist vielleicht dort.«
Cengiz sah unschlüssig zu ihrem Chef, der sie jedoch nicht beachtete, sondern die Frau im Blick behielt. Die wischte mit dem Handrücken über ihre feuchten Augen. Trauer machte sich in ihrem Gesicht breit, bevor sie sagte: »Er war der einzige Freund, den ich hatte.«
»Wenn Sie Freunde waren, wissen Sie sicher, wo er in der Nacht war?«, giftete Cengiz teilnahmslos weiter.
Dass ihr Chef mit zunehmend kritischer Miene das Verhör verfolgte, bemerkte sie ebenfalls nicht. Offensichtlich löste bei ihr die Frau, die ihr den Abend mit Aydin verdorben hatte, Aversionen aus.
Demirbilek spürte ihren Groll. Verständnis aber brachte er dafür nicht auf. Eine Kriminalbeamtin musste bereit sein, das Privatleben zurückzustellen. Auch wenn es schwerfiel. Im selben Atemzug machte er sich klar, dass genau aus diesem Grund seine Ehe mit Selma gescheitert war. Er hatte sie – seine große Liebe und seine Kinder – immer hintangestellt. Für ihn war es damals bequemer gewesen, als Kommissar zu ermitteln, als den Pflichten eines Ehemannes und Vaters nachzukommen. Er entschuldigte sich kurz bei der Frau, dann zupfte er Cengiz am Ärmel und hieß sie, mitzukommen.
»Du hast wohl vergessen, wer die Ermittlungen leitet«, warf er ihr vor.
»Was für eine Ermittlung?«
»Wenn du mir zickig kommst, Jale …«
»Die Frau ist merkwürdig«, unterbrach sie ihn.
»Weil sie Angst hat.«
»Vor wem oder vor was?«
»Das finden wir heraus.«
»Ich hatte keine Zeit, die genauen Hintergründe des Toten zu recherchieren.«
»Du überprüfst morgen, ob sie uns die Wahrheit sagt.«
Cengiz dachte einen Moment nach, bevor sie einlenkte. »In Ordnung.« Aber plötzlich veränderte sich ihr Gesicht. »Scheiße!«, schrie sie auf.
Demirbilek blickte zum Stehtisch.
Die Frau war nicht mehr an ihrem Platz. Er konnte sie nirgends im Lokal entdecken. Wahrscheinlich hatte sie es nach dem harten Ton bereut, sich ihm anvertraut zu haben, und ist verschwunden, ärgerte er sich. Cengiz war
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