Biest: Thriller (German Edition)
dass sie ganz bewusst ihm gegenüber etwas zu verschleiern versuchte. Als sie aufgelegt hatte, betrachtete er sie von der Seite. Sie hielt sich gerade, den Kopf streng nach vorne gerichtet.
»Solveigh, was ist los?«
»Nichts, Marcel. Es ist alles in Ordnung.«
»Das glaube ich nicht. Du redest kaum mit mir, deinen Humor hast du offenbar in Paris oder in Prag oder sonst wo vergessen, und mit uns ist irgendwas alles andere als in Ordnung. Nur habe ich leider überhaupt keine Ahnung, was das sein könnte.«
Solveigh schwieg mehrere Minuten lang und starrte weiter geradeaus. Die Limousine glitt durch die abendliche Hauptstadt, vorbei an Autohäusern und Möbelmärkten. Marcel war mehrfach versucht, einen neuen Anlauf zu nehmen, aber sie sah aus, als ob sie Zeit zum Nachdenken bräuchte. Mitten in der Vorstadt bedeutete Solveigh ihrem Fahrer auf einmal, rechts ranzufahren.
»Du hast recht, wir müssen reden«, sagte Solveigh. »Warten Sie bitte hier, es dauert nicht lange«, bat Solveigh den Fahrer und stieg aus der Limousine. Sie liefen schweigend auf der Straße nebeneinander, bis sie die Spree erreicht hatten. Erst in der Mitte einer einfachen Brücke aus blau gestrichenem Stahl und einfachem Beton blieb Solveigh stehen. Und lehnte sich an das Geländer, ihren Blick immer noch starr geradeaus den Fluss hinunter gerichtet. Marcel trat neben sie und stützte sich ebenfalls mit den Unterarmen ab. Ihre Ellenbogen berührten sich durch den dicken Stoff ihrer Jacken, unter ihnen am Ufer standen neue Hotels neben alten Fabriken und maroden Verwaltungsgebäuden. Typisch Berlin. Der Wind wehte ihr eine geschwungene Locke ins Gesicht. Marcel bemerkte ein feuchtes Glitzern in ihren Augen. Ohne sich ihm zuzuwenden, begann sie, mit nüchternen Worten alles zu erklären. Sie war schwanger. Gewesen. Natürlich von ihm! Ihr Kind hatte es nicht geschafft. Vielleicht war es ihre Schuld. Oder die ihres Jobs. Aber sie hatte in das Kernkraftwerk gehen müssen. Er hielt sie im Arm, während sie erzählte, und ließ sie auch nicht los, als sie nach ihrem Geständnis verstummte.
»Marcel«, sagte sie schließlich. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Natürlich, was immer ich tun kann.«
»Du musst mich vertreten. Du musst alleine zur Wohnung von der Kaiser fahren und dich dort umsehen. Eddy wird dir helfen. Ihr müsst unbedingt herausfinden, wer sie auf den AKW-Mitarbeiter angesetzt hat. Und dass das jemand getan hat, daran dürften kaum Zweifel bestehen. Und bitte, nur dieses eine Mal: Vergiss den Journalisten. Keine Story, okay? Tu einfach das, was ich tun würde. Zusammen mit Eddy. Kannst du das für mich machen, Marcel?«
»Na ja, ich kann es zumindest versuchen. Aber nur, wenn du mir erklärst, warum du das nicht selbst machen kannst.«
»Ich muss noch woandershin, um das Kapitel endlich abschließen zu können. Es gibt keine andere Möglichkeit, und Eddy hat sich um einen Termin noch heute Abend gekümmert. Sie warten schon auf mich. Morgen früh bin ich wieder fit.«
Marcel begriff, worum es ging. Natürlich. Wann hätte sie in den letzten Tagen auch sonst den Eingriff machen lassen sol-len?
»Ich hole dich ab, okay?«, versprach Marcel. Solveigh nickte.
Der Wagen setzte Marcel vor der Bietzkestraße 18 ab. Das Mietshaus war einfach, orangefarbene Balkone hingen an einer gelben Sechzigerjahre-Fassade, und vor dem Eingang warteten bereits zwei Streifenpolizisten.
»Ihr Kollege ist übrigens schon da, die Tür ist offen«, sagte der ranghöhere Beamte und trat dabei eine Kippe aus.
»Was für ein Kollege?«, fragte Marcel verdattert.
»Na, der Polizeihauptmeister aus Heilbronn. Tauschgeschäft oder so ähnlich.« Die Uniformierten lachten unisono. Marcel lachte nicht, sondern machte sich stattdessen an den Aufstieg in den vierten Stock ohne Fahrstuhl. Das Treppenhaus wirkte ebenso unspektakulär wie die Fassade, grau, aber gepflegt. Es roch nach gegrilltem Hähnchen, Fett und nassen Schuhen. Als er den dritten Stock erreicht hatte, wählte er die Nummer von Solveighs Kollegen Eddy.
»Was soll ich jetzt machen?«, fragte er. »Die Beamten haben mir verraten, dass schon einer da ist. Aus Heilbronn.«
Eddy lachte. »Der Tauscheck ist schon da? Er arbeitet für uns, genauer gesagt: für Solveigh. Zumindest im Moment. Und was du machen sollst? Wie wir besprochen haben, ist jeder Hinweis zu Doreen Kaisers Leben wichtig. Vergangenheit, Arbeitgeber, Freunde, einfach alles. Tut mir leid, dass ich das nicht weiter eingrenzen kann,
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