Biest: Thriller (German Edition)
Notiz für seinen Assistenten, bevor er den Ton des Fernsehers lauter stellte.
»Nach der Atomkatastrophe von Fukushima haben wir gesagt: Dieses Ereignis hat unsere Haltung verändert. Wir haben den Atomausstieg beschlossen. Die Katastrophe von Neckarwestheim hat uns in erschreckender Weise verdeutlicht: Das war nicht genug. Das Moratorium hatte uns überzeugt, dass ein schrittweiser, kontrollierter Ausstieg möglich, ja sogar geboten schien. Doch, und das sage ich Ihnen in aller Offenheit und Deutlichkeit: Ich habe mich getäuscht. Und deshalb habe ich gemeinsam mit der Bundesregierung entschieden: Das Zeitalter der Atomkraft in Deutschland endet mit dem heutigen Tage.«
Der gesamte Bundestag applaudierte, die Erleichterung war den Politikern aller Parteien anzumerken, es war, als wäre dem 2,5 Tonnen schweren Bundestagsadler ein Stein vom Herzen gefallen.
»Aber ich will diesem hohen Haus nicht die Konsequenzen verschweigen, die diese unsere Entscheidung für unser Land haben wird. Die Energiekosten werden massiv steigen …«
Das Biest bemerkte, dass sie die Vokabel »explodieren« vermied.
»… und wir werden die Gasimporte drastisch erhöhen müssen. Schon heute liegt der Erdgaspreis auf einem Allzeit-Hoch. Und das ist nicht das Ende der Fahnenstange. Ich habe jedoch mit unseren Freunden in Russland eine Liefergarantie vereinbart, die uns dabei helfen wird, unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten.«
Das Biest lächelte.
»Ich möchte noch einmal betonen, dass die Bundesregierung bei allen Risiken, bis hin zu einem möglichen Blackout in Deutschland, die Kernkraft für nicht zukunftsfähig erachtet. Wir verstehen die mehrere Hunderttausend Demonstranten, die seit Tagen in unseren Städten für den sofortigen Ausstieg auf die Straße gehen. Und wir schließen uns ihrer Meinung an. Der Kernkraft ist die Grundlage entzogen worden.«
Alles lief genau nach Plan. Das Biest legte einen weiteren Birkenscheit in den Kamin, der sofort lodernd Feuer fing.
»Lassen Sie mich zum Schluss noch zu den Gerüchten Stellung nehmen, die in den letzten Tagen in unserem Land kursieren, es handele sich bei den Störfällen in Neckarwestheim und Forsberg um Terroranschläge. Gegenwärtig liegen uns keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, wie es zu den beiden Vorfällen kommen konnte. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung alles daransetzen wird, in den nächsten Tagen die genauen Ursachen zu ergründen.«
Als die Gegensprechanlage seines Telefons summte, stellte das Biest den Ton des Fernsehers aus. Der Besuch war eingetroffen. Der Engländer würde erklären müssen, wie der junge Russe entkommen konnte und wie er die Situation wieder unter Kontrolle bekommen wollte. Es galt eine weitere Brücke hinter sich abzubrennen. Die letzte, die zu ihm führte. Und es war eminent wichtig, dass diesmal nichts schiefging. Er schauderte, als er den Kamelhaarmantel im Türrahmen erblickte.
KAPITEL 55
Flughafen Tegel, Berlin, Deutschland
07. Februar 2013, 20.04 Uhr (sieben Stunden später)
Die Bombardier Global der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums landete kurz vor acht, immer noch in Tegel. Aufgrund einer weggelächelten Bauverzögerung beim neuen Großflughafen war der alte Stadtterminal immer noch in Betrieb. Die Besatzung des zweistrahligen Verkehrsflugzeugs hatte sich über den ungewöhnlichen Auftrag ebenso gewundert wie über ihre Passagiere: Ein Pick-up im äußersten Norden Norwegens und nach dem Auftanken sofort wieder zurück nach Berlin mit einer Frau und einem Mann, zwei Zivilisten, die jedoch nicht aussahen wie die Minister oder Staatssekretäre, die sie sonst beförderten. Die blonde Luftfahrttransportbegleiterin, die die beiden während des Flugs betreut hatte, blickte ihnen nachdenklich hinterher, als sie in einen schwarzen Audi stiegen, der sie auf dem Rollfeld erwartete.
Marcel beobachtete Solveigh aus dem Augenwinkel, während sie mit ihrer Zentrale telefonierte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie wirkte ihm gegenüber abweisend, unterkühlt. Und gleichzeitig aufgebracht, unruhig. Und sie lachte kaum, zumindest wesentlich weniger als sonst und am allerwenigsten über seine Bemerkungen. Das einsilbige Telefonat, das sie offenbar mit ihrem engsten Kollegen Eddy führte, hatte ihm bisher auch noch nicht weiter Aufschluss darüber gegeben, was passiert war, es bestand zum größten Teil aus einzelnen Wörtern wie ›Ja‹, ›Nein‹ oder ›Okay‹. Marcel vermutete,
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