Biest: Thriller (German Edition)
fühlte sie sich auch seltsam befreit. Als könne sie erst jetzt von dem Zustand loslassen, der hätte sein können, aber einfach nicht mehr war. Sie fragte sich, ob alles normal verlaufen war, und ertappte sich bei dem irrationalen Gedanken, ob man ihr das Frau-Sein genommen hatte. Ob etwas schiefgegangen war? Ein Routineeingriff, hatten sie ihr bei der Einweisung versichert. Sie machten so etwas mehrmals jeden Tag, kein Problem. Machen Sie sich keine Sorgen. Dann kam das Formular zur Risikoaufklärung. Und die beruhigenden Worte lösten sich auf im Strudel der Befürchtungen. Sie trank eine halbe Flasche Wasser in einem Zug und hätte sich beinahe verschluckt, weil Marcel auf einmal hochschreckte. Nach einem kurzen Moment der Desorientierung fixierten sich seine Augen auf sie. Dann begriff er, dass er nur schlecht geträumt hatte, und strahlte sie an. »Guten Morgen, Solveigh.«
»Hallo, Marcel. Schön, dass du gekommen bist.« Die Worte purzelten noch ungelenk aus ihrem trockenen, verschlafenen Mund. Das würde sich glücklicherweise schnell ändern.
Es klopfte an der Tür, und im selben Moment spürte sie, wie ihr Herz schneller schlug und sich Angst in ihr breitmachte. Ein weißer Kittel betrat ihr Zimmer, und kaum hatte er die Tür geschlossen, fühlte sich die sonst so harte Solveigh, Special Agent der ECSB, ganz klein. Der Arzt starrte auf ein Datenblatt. Er sah nicht glücklich aus. Bildete sie sich das ein? War alles gut?
»Wie geht es Ihnen, Frau Lang?«, fragte er.
Verdammt noch mal, das sollte doch der mir sagen!, dachte Solveigh. Marcel rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Sie antwortete: »Gut. Ein leichtes Ziehen im Unterleib, aber sonst gut.« Er nickte in sein Datenblatt. Wie? Ist? Es? Verdammt? Noch mal? Gelaufen?
»Die OP verlief ohne Komplikationen«, sprach er endlich die erlösenden Worte aus. »Wie Herr Rames es verlangt hat, haben der Oberarzt und ich zu zweit operiert, sodass einer ständig den Ultraschall im Auge behalten konnte.«
Danke, Eddy! Danke tausendmal. Du bist der Beste. Ich werde dir so viel Wein in deiner Bodega ausgeben, wie du nur trinken kannst. Verlass dich darauf.
»Wann kann ich hier raus?«, fragte Solveigh, die sich auf einmal wieder ihrer Pflichten bewusst wurde. Sie erinnerte sich daran, was auf dem Spiel stand. Ziehen im Unterleib hin oder her. Sie warf einen kurzen, fragenden Seitenblick zu Marcel, der beruhigend abwinkte. Offenbar hatte seine Zusammenarbeit mit Eddy Früchte getragen.
»Den Tag über möchten wir Sie mindestens noch zur Beobachtung hierbehalten. Herr Rames hat gesagt, wir sollen uns so viel Zeit nehmen wie nötig.«
»Herr Rames ist irrelevant, Sie haben ja jetzt mich, um selbst zu entscheiden. Gibt es die Möglichkeit von Folgeschäden, wenn ich mich selbst entlasse, sobald ich wieder laufen kann?«
Der Arzt schüttelte den Kopf: »Nein, aber Sie sollten sich bewusst sein, dass Sie einen chirurgischen Eingriff hinter sich haben, und sich schonen.«
»Versprochen«, sagte Solveigh mit dem ernsthaftesten Blick, zu dem sie fähig war.
Sechs Stunden später, um exakt 09.46 Uhr, verließ Solveigh die Berliner Charité auf eigenes Risiko. Sie fühlte sich noch etwas wackelig auf den Beinen, aber es ging aufwärts. Jedem Tief folgt ein Hoch, erinnerte sich Solveigh, als sie mit Marcel zusammen auf den Rücksitz des Audis glitt. Ab jetzt zählte nur noch der Fall. Und sie freute sich fast ein wenig auf die Ablenkung.
Sie erreichten den Mehringdamm im Stadtteil Kreuzberg keine halbe Stunde später. Sie hatten sich mit dem Polizisten aus Heilbronn am Eingang zur U-Bahn verabredet, und er wartete schon auf sie, mit einem Döner in der Hand. Er begrüßte Solveigh mit vollem Mund: »Ehrlich gesagt ist dieses Ding hier der beste Döner, den ich je gegessen habe. Sollten Sie auch mal probieren, ist gleich da vorne.« Er deutete mit dem Teigfladen in Alufolie auf einen kleinen Verhau auf dem Bürgersteig. Mustaphers Gemüsedöner.
»Vielleicht später«, antwortete Solveigh und erkundigte sich nach dem Stand der Ermittlungen.
»Zehn Beamte durchkämmen die umliegenden Geschäfte und Wohnhäuser. Alle haben ein Foto von Doreen Kaiser dabei, ich warte jederzeit auf einen Anruf.«
Wie auf Bestellung klingelte in diesem Moment das Handy. Tauschek drückte Marcel den Rest seines Gemüsekebaps in die Hand und fischte ein Handy aus seiner Dienstlederjacke. Das Telefonat dauerte keine drei Minuten. Als er aufgelegt hatte, nahm er Marcel den
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