Biest: Thriller (German Edition)
geheimnisumwitterten Organisation, die seine Flucht aus Russland organisiert hatte, ihm gegenüber der seltsamste Programmierer, den er je getroffen hatte: ein leicht dicklicher Spanier, der fortwährend fluchte und zudem im Rollstuhl saß. Allerdings war er wirklich gut, das musste Dimitrij zugeben. Seine Codes waren kreativ, laut eigener Aussage hatte er in den Achtzigern bei einem Hamburger »Club« mitgemacht, was nur heißen konnte, dass er eines der ersten Mitglieder des legendären Chaos Computer Clubs gewesen war. Diese Jungs waren nicht zu unterschätzen, alte Hasen im Geschäft, und auch in Dimitrijs Hackerkreisen galten sie als die richtigen Jungs auf der falschen Seite. Wenn auch etwas idealistisch. Seit einigen Stunden versuchten sie, den Code, den ein Mitarbeiter der ECSB aus dem havarierten Kraftwerk in Deutschland geborgen hatte, zu ›reverse engineeren‹ – was bedeutete, das ausführbare Programm in den Originalquellcode zurückzuverwandeln. Dass Dimitrij den Originalcode geschrieben hatte, half ihnen dabei nur wenig, denn er hatte eine mehrere Megabyte große Datei an einigen entscheidenden Punkten modifiziert, aber auch vieles vom Original-Stuxnet übernommen. Als die Codezeilen vor seinen Augen wieder einmal vor Müdigkeit verschwammen, schob er frustriert die Tastatur zur Seite und betrachtete die Schrankwand hinter sich. Neben einigen dicken Wälzern zu diversen Fachgebieten entdeckte er in der hintersten Ecke hinter einer Reihe von Fotos auch zwei Urkunden: eine Verdienstmedaille erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland sowie ein Orden der Weißen Rose aus Finnland. Die Fotos zeigten die Frau, die ihn in Tromsø verhört hatte, und mehrere andere Personen, darunter auch Eddy, der ihm gegenübersaß, in einer spanisch aussehenden Bar mit einem Weinglas in der Hand. Sie hockte auf seinem Schoß im Rollstuhl, und beide prosteten in die Kamera. Auf dem Foto sah sie wesentlich jünger aus, als er sie in Erinnerung hatte. Die beiden kannten sich wohl schon länger. Und offenbar saß er an ihrem Schreibtisch. Er beobachtete den Spanier, der konzentriert in seinen Monitor starrte. Als sein Telefon klingelte, fluchte er in einer Sprache, die Dimitrij noch nie gehört hatte. Er bemühte sich wegzuhören, aber es wollte ihm nicht gelingen. Eddy schien es nicht zu stören, dass Dimitrij im Raum war, er beachtete ihn gar nicht. Nach dem vierten Klingeln ging er endlich ran.
»Slang, was gibt’s?«
Dafür, dass sein Status nach wie vor der eines gefangenen Kriminellen war, behandelte man ihn irgendwie seltsam: Jetzt aktivierte Eddy den Lautsprecher des Telefons, um ihn mithören zu lassen. Eigentümliche Arbeitsmethoden in dieser Behörde, vermerkte er und erhielt kurz darauf eine Erklärung von Eddy, der die Hand über die Sprechmuschel hielt: »Slang hat eine Spur, die uns möglicherweise zu einer Kopie des Quellcodes führen wird, zumindest hoffen wir das. Und Sie kommen hier sowieso nicht mehr raus, bis die Krise vorbei ist, insofern schadet es nichts, wenn Sie mithören, ansonsten fragen Sie mir eh nur Löcher in den Bauch danach. Und Sie wollen den Quellcode doch auch, oder?«
Dimitrij nickte, woraufhin sich Eddy wieder auf seine Gesprächspartnerin konzentrierte, deren Stimme angenehm weich und trotzdem sehr bestimmt klang.
»Wir wissen jetzt, wozu der Schlüssel aus dem Ei passt, den wir in Eislers Magen gefunden haben.«
»Wie habt ihr das denn so schnell rausgefunden?«
»Wir nicht. Sondern Tauscheck.«
»Dieser Indianer aus Heilbronn?«
»Er hat den Schlüssel auf die Facebook-Seite der Berliner Polizei gepostet und gefragt, wozu der passen könnte. Zweihundert Kommentare später stellt einer ein Bild rein mit einem identischen Schlüssel, aber einer anderen Nummer. Das Ganze hat nicht mal eine Stunde gedauert.«
Dimitrij grinste. Keine schlechte Idee, die Bevölkerung in die Ermittlungen einzubeziehen. Willkommen im 21.Jahrhundert.
»Er gehört zu einem Schließfach beim Bankhaus Löbbecke in der Französischen Straße. Ich bin jetzt auf dem Weg dorthin. Drückt mir die Daumen, dass der Stasi-Mann dem Ruf seiner ehemaligen Behörde gerecht wird.«
Dann legte sie auf. Eddy wandte sich wieder seinem Computer zu und sagte: »¡Hola amigo!« Er brauchte es für Dimitrij nicht zu übersetzen. Sie mussten weitermachen für den Fall, dass diese Solveigh Lang keinen Erfolg mit dem Schließfach hatte. Dimitrij hatte ohne den Quellcode jedoch wenig Hoffnung, sie würden Wochen brauchen,
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