Biest: Thriller (German Edition)
an den Kanten des Papiers, als sie es herauszog. Und tatsächlich hielt sie einen USB-Stick in der Hand. Nichts Besonderes, ein Standardmodell, wie er in jedem Elektronikmarkt für ein paar Euro verkauft wurde. Sie klappte ihren Laptop auf. Jetzt galt es herauszufinden, ob der Stick das kompilierte Virus oder den Quellcode enthielt. Entweder würde sie den Rechner verschrotten müssen, oder sie konnte Eddy das liefern, worauf er so dringend wartete. Sie trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, während der Rechner hochfuhr. Dann loggte sie sich ein und ließ das Betriebssystem alle Dateien laden. Hielt sie das Ende der europäischen Atomkatastrophe in der Hand? Sie atmete ein, bevor sie den Stick in den Rechner steckte. Es passierte: nichts. Sie klickte auf das Symbol für eine Videokonferenz mit Eddy in Amsterdam.
»Eddy, wie erkenne ich, ob es der Quellcode ist?«
»Warte mal kurz«, bat der Kollege und gestikulierte an seinem Schreibtisch. Vermutlich wegen Dimitrij. Er hatte ihr schon gestanden, dass er dem Russen ihren Schreibtisch überlassen hatte, um ihn besser im Auge behalten zu können. Nur einen Moment später tauchte er hinter Eddys Konterfei auf.
»Nicht schwer«, erklärte er. »Klicken Sie mal auf das Symbol mit dem Stick, so als ob Sie eine Datei davon aufrufen wollten.«
Solveigh tat wie geheißen.
»Wir werden gleich sehen, ob es der Quellcode ist. Wenn nicht, dann sehen Sie nichts oder einen Film oder eine Bilddatei.«
Das Fenster öffnete sich mit einer schicken Animation. Es sah aus wie ein Ordner:
QTIE_BLD_55.32.9
Eddy und der Russe jubelten: »Du hast sie gefunden, Slang! Das ist, was wir brauchen. Schieb das sofort auf unseren Server hier! Jetzt haben wir endlich eine Chance!«
»Und was, wenn das Virus doch noch irgendwie aktiv ist?«
Eddy grinste in die Kamera und legte einen Arm um Dimitrijs Schultern: »Für den Fall hat unser neuer Freund hier eine kleine Spezial-Firewall angelegt. Kein Problem.«
Solveigh schob den Ordner per sftp auf den Server der ECSB und legte auf. Die Datenübertragung über ihr Mobiltelefon verlief gähnend langsam, vermutlich lag es an den dicken Wänden des Tresorraums. Nur mühsam kam der Fortschrittsbalken voran, er schleppte sich wie ein untrainierter Läufer beim Marathon über die Strecke.
Sie widmete sich wieder den Dokumenten aus dem Schließfach. Vielleicht hatte Eisler ja noch etwas Interessantes hier versteckt. Zum Beispiel weitere Namen. Doreen Kaiser konnte nicht die Einzige gewesen sein, ihre Teams hatten in mindestens fünf Atomkraftwerken Hinweise auf eine Verbreitung des Stuxnet-Virus gefunden. Nicht überall in kritischen Bereichen, aber das hieß dennoch, dass es mehrere Verteiler gegeben haben musste. Und dann gab es noch die Männer aus dem Apartment. Auch von ihnen hatten sie immer noch keinen identifizieren können. Vermutlich waren die Aufnahmen zu alt. Oder Eisler hatte sie ausgetauscht und eine gänzlich falsche Fährte ausgelegt, die jeden Ermittler in eine Sackgasse führen würde. Zurzeit lief ein Abgleich mit sämtlichen europäischen Datenbanken, aber das brauchte seine Zeit. Als sie das siebte Blatt abfotografiert hatte, stockte Solveigh der Atem: Offenbar hatte Eisler versucht, mehr über seinen Auftraggeber herauszufinden. Ein Geschäftsmann namens Kharkov war mit dem Plan an ihn herangetreten. Das wussten sie bereits von Dimitrij. Aber Eisler hatte, wie sie auch, einen Hintermann vermutet. Und sich alle Mühe gegeben, ihn aufzuspüren. Das Interessanteste war die Kopie eines karierten Schmierzettels, auf dem Eisler sämtliche Beteiligte aufgelistet und die Beziehungen untereinander mit Pfeilen markiert hatte. Dazu mehrere Jahreszahlen, die bis ins Jahr 1992 zurückreichten. Ganz oben auf dem Zettel stand ein großes Fragezeichen. Und darunter: das Biest. Rechts daneben war ein Pfeil zu einem weiteren Namen: Dawydow. Und ein dreimal umkringeltes Fragezeichen daneben mit dem Hinweis: 1992. Solveigh wählte Wills Nummer, der von ihnen allen die besten Verbindungen zu den alten Seilschaften des ehemaligen Ostblocks hatte.
»Will, wir haben eine Spur. Einen Decknamen des Auftraggebers und einen Hinweis auf eine Kontaktperson namens Dawydow. Wir müssen rausfinden, wer das ist.«
Nachdem Will ihr bestätigt hatte, sich darum zu kümmern, legte sie auf und machte sich an die Arbeit, den Rest der Akten abzufotografieren. Sie ahnte, dass sie schon bald eine Reise nach Russland unternehmen würde. Ihre letzte Reise
Weitere Kostenlose Bücher