Biest: Thriller (German Edition)
dorthin hatte sie nicht in allerbester Erinnerung.
KAPITEL 63
Amsterdam, Niederlande
09. Februar 2013, 06.54 Uhr (am nächsten Morgen)
Die Abordnungen der ECSB waren wieder nach dem bekannten Muster ausgeschwärmt – jeder verfügbare Mitarbeiter hatte ein Atomkraftwerk zugeteilt bekommen, um den nächsten Störfall zu verhindern. Oder zumindest ihre Chancen darauf zu maximieren. Die Strategie der Angreifer hatte sich als überaus perfide und hochgefährlich herausgestellt. Nachdem es der ECSB doch noch gelungen war, die Männer auf den Fotos in Eislers Apartment als ehemalige Soldaten verschiedener europäischer Armeen zu identifizieren, hatten sie nicht lange für eine erste Schlussfolgerung gebraucht. Die Terroristen fuhren zweigleisig. Das Virus und eine kleinere Detonation irgendwo auf dem Kraftwerksgelände außerhalb des Hochsicherheitsbereichs. Eine gezielte Überprüfung in Neckarwestheim hatte ihren Verdacht bestätigt. Sie zündeten parallel zum Angriff des Virus einen konventionellen Sprengsatz, der eine kleinere Menge nukleares Material enthielt. Eine sogenannte dreckige Bombe, vor der die amerikanische CIA die westliche Welt immer wieder gewarnt hatte, weil das Material so einfach zu beschaffen und sie trotzdem hochgefährlich war. So sorgten sie dafür, dass die Bevölkerung – und im Chaos nach dem Störfall auch die namhaftesten Experten – glaubten, das Kraftwerk sei explodiert. Was im Grunde genommen auch stimmte, nur dass es eben nicht der GAU, der Größte Anzunehmende Unfall, war, sondern ein Sprengsatz mit einer weitaus geringeren Menge an freigesetzter Radioaktiviät. Die Wirkung dieser Simulation war jedoch beinahe die gleiche: Panik in der Bevölkerung und bei den Verantwortlichen. Seitdem sie von dem Bomben wussten, wurden die europäischen Kraftwerke von Soldaten gegen einen Angriff von außen geschützt. Aber die Sicherheit, die sie versprachen, war trügerisch. Denn gegen die Gefahr von innen, die nach wie vor nicht gebannt war, waren sie machtlos. Tag für Tag häuften sich jetzt die kleineren und größeren Zwischenfälle an den Kühlpumpen, es war nur eine Frage der Zeit, bis einem Leitstandmitarbeiter ein schwerwiegender Fehler unterlief. Und dann könnte alles noch viel schlimmer kommen. Auch ohne die dreckigen Bomben. Nüchtern betrachtet, war Europa dem GAU näher als je zuvor.
In der Zentrale arbeiteten Eddy und Dimitrij fieberhaft daran, eine Routine zu entwerfen, mit der das Virus sicher entfernt werden konnte. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es waren mehr Kraftwerke mit Dimitrijs Stuxnet-Variante infiziert als bisher angenommen. Bei insgesamt zweiundzwanzig Kraftwerken hatten sie das Virus nachweisen können, und zumindest teilweise waren sie auch über die Wartungsteams externer Dienstleister weiterverbreitet worden. Die Atomindustrie war ein kleiner exklusiver Zirkel, und das Virus verbreitete sich wie die Grippe in einer vielköpfigen Familie. Drei der Kraftwerke waren durch die Störfälle der letzten Woche bereits notabgeschaltet, vier weitere, bei denen man das Virus im innersten Sicherheitsbereich hatte nachweisen können, waren mittlerweile ebenfalls vom Netz gegangen. Aber die ENSREG hatte unter Federführung Frankreichs die vorsorgliche Abschaltung der restlichen AKWs verhindert. Zu groß sei die Gefahr eines Blackouts, zu enorm der Schaden für die europäische Wirtschaft, die Bevölkerung, das tägliche Leben. Zumindest nachdem alle deutschen Meiler per Dekret der Kanzlerin vom Netz gegangen waren, schulterte Frankreich die Hauptenergielast, vor allem in der Nacht. Ohne Strom geht nichts mehr in der westlichen Zivilisation, und es schien, als sei zumindest für die politische Klasse die Angst vor einem Stromausfall größer als vor atomarer Verstrahlung. Dominique, der die Statistik nur zu gut kannte, wusste, dass sie nicht unrecht hatten mit dieser Angst. Ihm wäre es trotzdem lieber gewesen, wenn der Meiler von Chooz, durch dessen innerste Sicherheitsschleuse er gerade von einem Mitarbeiter geschoben wurde, nicht mehr in Betrieb gewesen wäre. Ihm war bewusst, dass er auf einer tickenden Zeitbombe saß. Immer noch Platz drei in seiner urprünglichen Statistik, auch wenn bisher kein Störfall gemeldet worden war. Und der Leiter des Kraftwerks, Ducheix, der jetzt hinter ihm, ebenso wie alle anderen in einen weißen, papierdünnen Schutzanzug gehüllt, die Schleuse betrat, war immer noch bester Laune. Weder der zweite Zwischenfall in Schweden noch
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