Biest: Thriller (German Edition)
der in Golfech hatten ihm sein Vertrauen in das eigene Krisenmanagement nehmen können. Als Dominique ihn darauf angesprochen hatte, hatte er trocken auf die baulichen Unterschiede der beiden Reaktortypen hingewiesen. Und hinzugefügt: »Im Übrigen, Monsieur Lagrand, kann ich nur noch einmal betonen: Wenn ich wirklich überzeugt wäre, dass meine Anlagen in Gefahr sind, dann müsste ich sie ja abschalten, oder nicht?« Also hatte die Politik Druck ausgeübt. Und sich falsch entschieden. Auch die Regierung in Tokio hatte nach der Katastrophe von Fukushima nicht alle Reaktoren abgeschaltet. Mit der gleichen Begründung wie die französische Regierung.
»Ganz wohl ist mir dabei nicht«, sagte einer der leitenden Ingenieure, als sich ihre Gruppe weiter in Richtung der Hauptpumpen des Reaktorblocks zwei vorarbeitete, und deutete mit seinem Finger auf den Laptop, der auf Dominiques Schoß lag. Mir ist auch nicht ganz wohl bei der Aktion hier, dachte Dominique, und das liegt am wenigsten an meinem Laptop.
»Mir wurde von höchster Stelle versichert, dass die Ausnahme in diesem Fall gerechtfertigt ist«, stellte sich Ducheix zum ersten Mal zumindest offiziell auf seine Seite. »Die Task-force der ENSREG hat den Schadcode mittlerweile identifiziert und arbeitet an einem Problem zur Beseitigung. Da er sowohl in Forsberg als auch in Neckarwestheim als Erstes die Kühlpumpen angegriffen hat, wird Monsieur Lagrand dort anfangen.«
Taskforce der ENSREG, dachte Marcel. Ein weiteres Pseudonym der ECSB. Er steckte den Stöpsel seines Headsets ins Ohr und wählte eine Nummer auf seinem Mobiltelefon. Beide Geräte waren Teil der Sondererlaubnis und normalerweise hier nicht gestattet, aber sie hatten einfach keine Zeit mehr. Dimitrij behauptete, dass Chooz längst überfällig sei, nachdem sie von seinem letzten Besuch wussten, dass zumindest in der Verwaltung seit mindestens sechs Tagen das Virus kursierte.
»Eddy, wie weit seid ihr? Ich bin fast da.« Er konnte bereits die riesige Stahlhülle einer der Hauptpumpen erkennen.
»Gib uns noch zehn Minuten. Wird schon schiefgehen, du bist doch unser Statistiker. Wie wahrscheinlich ist es, dass das Ding ausgerechnet jetzt hochgeht?«
Dominique seufzte. Das individuelle Problem der Statistik war bloss, dass sich der Einzelfall nur sehr schwer daran ablesen ließ. Und wenn man persönlich betroffen war, als Individuum, so wie er in genau diesem AKW in genau dieser Sekunde, dann zählte die Wahrscheinlichkeit auf einmal kaum noch. Als sie die große Pumpe erreicht hatten, bat Dominique den Ingenieur, ihm Zugang zum Steuerungscomputer zu verschaffen. Natürlich handelte es sich nicht mehr um Computer im herkömmlichen Sinne. Der Techniker nahm eine einfache Plastikabdeckung von einem grauen Kasten. Dahinter steckten graue SIMATIC-Module, das eigentliche Ziel von Stuxnet, sogenannte Programmable Logic Controller oder kurz: PLCs. Sie steuerten überall auf der Welt Roboter, Fertigungsstraßen, Chemiefabriken oder wie eben hier: die Pumpen des AKWs. In Neckarwestheim und Forsberg hatten ebensolche Controller die Leistung der Pumpen verringert, dem Leitstand jedoch angezeigt, im Normbereich zu laufen. Das Genie des Bösen. Dominique kam es seltsam still vor.
»Hört sich das hier für Sie nach einem normalen Pumpenbetrieb an?«, fragte er den Ingenieur.
»Natürlich!«, antwortete Thierry Ducheix, der Manager. »Alles einwandfrei.« Dominique warf einen skeptischen Blick zu dem Techniker, der auf einmal unruhig mit den Händen an der Abdeckung herumknispelte.
»Also, ich weiß nicht. Sie kommt mir schon sehr leise vor, aber es ist natürlich möglich, dass gerade eine der anderen Hauptpumpen läuft.«
»Aber Sie haben, wie wir das vorher besprochen hatten, im Leitstand nachgefragt, welche Pumpe läuft, und das ist diese hier, richtig?«, fragte Dominique jetzt ernsthaft besorgt. Scheiß auf die Statistik, es ging los. Er spürte es in den Haarspitzen, und auf seiner Stirn bildete sich ein Schweißfilm. Der Ingenieur nickte.
»Fragen Sie nach«, bat Dominique, so ruhig es ihm möglich war, und stöpselte ein Kabel von seinem Rechner an das PLC-Modul. Er startete die Software, die ihm Dimitrij auf den Rechner gespielt hatte.
»Was ist los bei euch?«, fragte Eddy in seinem Ohr.
»Ich weiß nicht, ich glaube, die Pumpe läuft nicht. Ich glaube, es geht los. Wir haben nicht viel Zeit. Und denkt daran, dass ich keine hundert Meter entfernt von diesem verdammten Reaktor sitze, okay?« Nicht
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