Biest: Thriller (German Edition)
Blick kehrte zurück: »Natürlich, oder sehen Sie etwas, was ich lieber täte?« Er lächelte.
»Was bedeuten Ihnen die Solidaritätsbekundungen nicht nur der ausländischen Presse, sondern auch der Gerichte und der Regierungen?«
Für einen winzigen Moment fiel sein Blick zu Boden, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sagte: »Sie geben mir Kraft. Ändern können sie natürlich nichts.«
Marcel bemerkte, wie Solveigh unruhig wurde und ständig die Wachen im Auge behielt. Natürlich sollten sie die wichtigste aller Fragen möglichst schnell beantwortet bekommen, keiner konnte wissen, ob ihnen der Oberst wirklich den gesamten Tag zugestehen würde oder ob Dawydow durchhielt. Er nickte Solveigh zu.
»Herr Dawydow, ich will Ihnen reinen Wein einschenken. Ich arbeite nicht für eine Zeitung.« Marcel beobachtete, wie sich die beiden ansahen. Dawydows Blick hatte etwas Intensives, dem man sich kaum entziehen konnte, aber Solveigh hielt dagegen. Er hob eine Augenbraue, bevor er antwortete: »Das hatte ich mir fast gedacht. Sind Sie gekommen, um mich zu befreien?«
Solveighs Mimik blieb ausdruckslos, aber in ihren Augen lag eine Antwort, die erst jenseits ihrer Worte ihre ganze Bedeutung entfaltete: »Nein, Herr Dawydow. Aber wenn Sie mich darum bitten, werde ich mich möglicherweise dafür einsetzen können.«
Der Russe lachte: »Das haben schon andere versucht, aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich wusste, dass ich ins Gefängnis gehe, wenn ich Russland nicht verlasse. Mein Schicksal war mir immer bewusst. In der Rückschau muss man das möglicherweise als naiv betrachten, aber ich habe einfach unterschätzt, wie weit die Justiz in diesem Land tatsächlich gehen würde. Wie weit es mit meinem Land schon gekommen ist.«
»Ich bezog mich nicht auf ein juristisches Einsetzen, Herr Dawydow.«
Der ehemalige Oligarch nickte und schob seine Brille zurecht. Er sah immer noch aus wie ein Stanford-Professor.
»Ich glaube Ihnen, und mir ist klar, dass Sie heute kein Versprechen abgeben können. Im Grunde ist das auch nicht mehr wichtig, mir sind nur einige Strohhalme abhandengekommen, an die ich mich während meines Prozesses klammern konnte. Es gab immer ein Ziel. Bis ich hierherkam. Ein neuer Strohhalm hilft mir möglicherweise mehr als alles andere, selbst wenn mich niemals jemand daran aus diesem Loch herausziehen wird.«
Er sah sie durchdringend an. Solveigh wich seinem Blick auch diesmal nicht aus, und sie trafen eine Übereinkunft, über dessen Inhalt Marcel nur Vermutungen anstellen konnte. Er sollte beim Abhören der Bänder, die noch mehrere Stunden füllen würden, eine Verschwörungstheorie entwickeln, die er jedoch weder beweisen noch widerlegen konnte.
»Ich vermute«, fuhr der Russe leise fort, »Sie hatten an eine Gegenleistung für Ihr Engagement gedacht?«
Solveigh nickte: »Ich las, dass Sie regelmäßig die Tagespresse verfolgen?«
»Seit sie mich hierherverlegt haben, muss ich jeden Tag vierhundert Tischbeine drechseln, aber ja, das Wichtigste lese ich immer noch.«
»Das heißt, Sie sind über die Vorfälle in Westeuropa informiert?«
»Sie meinen die Störfälle in den Atomkraftwerken? Natürlich! Verzeihen Sie meine geschmacklose Wortwahl, aber für Russland ist es, ökonomisch gesehen, das Beste, was überhaupt passieren konnte. Der Gaspreis explodiert, und dazu exportieren wir demnächst noch als Einzige günstigen Atomstrom!«
Solveigh schwieg und starrte ihn an. Das Plexiglas und seine Brille spiegelten jeweils einen anderen Teil der Deckenbeleuchtung, als er erkannte, was ihr Schweigen zu bedeuten hatte.
»Sie vermuten …?« Er brauchte die Frage nicht auszusprechen. Solveigh starrte weiterhin geradeaus. Er sog die Luft durch die Lippen.
»Wir haben einen Hinweis, dass Sie die Identität des Mannes kennen könnten, der hinter den Anschlägen steckt. Ich vermute, aus den turbulenten 90er-Jahren. Man munkelt, dass Sie einer von Jelzins Vertrauten gewesen sind. Der Mann, der hinter den Anschlägen steckt, ebenso. Zu jener Zeit war er unter einem Decknamen bekannt, den angeblich niemand mehr kennt, der heute noch lebt.«
In einem Moment der Vorahnung weiteten sich Dawydows Pupillen, und er rückte leicht auf seinem Stuhl zurück, als würde ihn die Erinnerung auch heute noch in Panik versetzen.
»Es ist wieder da«, flüsterte er. »Das Biest.«
KAPITEL 65
Flughafen Franz-Josef-Strauß, München, Deutschland
14. Februar 2013, 14.24 Uhr (zwei Tage später)
Der
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