Biest: Thriller (German Edition)
selbst oder zu einigen seiner einflussreichsten Wirtschaftsberater knüpfte. Verständnis von freier Marktwirtschaft stand damals hoch im Kurs, Jelzin wollte das ganze Land umkrempeln, und natürlich brauchte er dazu Fachkräfte. Es waren ebenjene wenigen Männer, die damals über das notwendige Fach- oder auch nur Halbwissen verfügten, denen es gelang, aus staatlichen Ressourcen große Vermögen zu privatisieren. Sie waren die Ersten, denen es erlaubt wurde, private Firmen zu gründen. Banken, Versicherungen, Kolchosen, Rohstoffe. Beinahe alles wurde damals in äußerst undurchsichtigen Prozessen verschoben. Manche kauften mit einem unbeliehenen Bankkredit ein Unternehmen für 100 Millionen Dollar, das schon eine Woche später 1,5 Milliarden wert war. Unter den Insidern herrschte regelrechte Goldgräberstimmung, und jeder bekam einen Teil vom Kuchen.«
»Seltsame Vorstellung von Gerechtigkeit«, murmelte Solveigh.
»Das sehen die meisten im Westen so«, erklärte Irina, »aber in Wirklichkeit gab es fast keine Alternative. Man wollte die Schlüsselindustrien bei der Privatisierung nicht ans Ausland verlieren, also hat man lieber ein paar Russen reich gemacht als fremde Aktiengesellschaften aus Amerika.«
Solveigh erkannte wieder einmal, dass ihr Politik zu kompliziert war.
»Konntet ihr die Angaben verifizieren, die Dawydow über seine Beteiligungen gemacht hat?«, fragte Will Thater.
»Teilweise ja. Wir wissen, dass er eine Tankstellenkette besaß und sie kurz nach seiner Heirat mit Alexandra Grigorjevna Astakhova an einen anderen Oligarchen verkaufte. Das war 1995.«
Eine bildhübsche Frau mit slawischen Wangenknochen und blonden Locken, die in einer größeren Gruppe vor einem Universitätsgebäude stand, erschien auf dem Monitor. »Seine Beteiligung an dem Agrarunternehmen konnten wir nicht mehr nachvollziehen, allerdings rankt sich darum eine interessante Geschichte. Angeblich hatte sich der Bürgermeister des Ortes, an dem das Unternehmen seinen Hauptsitz hatte, über die Personalpolitik und die harten Arbeitsbedingungen öffentlich beschwert, woraufhin der Lokalzeitung sein abgeschlagener Kopf in einem Schuhkarton geliefert wurde. Mokejev konnte niemals etwas bewiesen werden, aber in den Protokollen der Staatsanwaltschaft wurde er kurze Zeit als Verdächtiger geführt. Es ist nicht weiter verwunderlich für jene Zeit in Russland, dass die Ermittlungen im Sande verliefen.«
Solveigh rieb sich die Augen. Zumindest passte es zu seinem Spitznamen.
»Es gibt noch einen ungeklärten Fall aus jener Zeit, der mit Mokejev in Verbindung steht. Seine Frau verschwand im Jahr 1997 auf mysteriöse Weise. Laut seiner Zeugenaussage verließ sie die gemeinsame Wohnung in der Stadtmitte, um einkaufen zu gehen, und kam nicht mehr zurück. In ihrer Ehe habe es keine Probleme gegeben, gab er damals zu Protokoll. Auch dieser Fall wanderte zu den Akten, vermutlich aufgrund seines Einflusses. Allerdings hält sich auch hartnäckig das Gerücht, sie habe einen Liebhaber gehabt, und das Biest hätte sie eigenhändig zerstückelt und im Garten ihrer Datscha vergraben, daher rührt wohl sein Spitzname, obwohl es mir schwerfällt, ihn als solchen zu bezeichnen.«
»Hat die Polizei den Garten untersucht?«, fragte Will Thater.
»Nein«, antwortete Irina.
»Was für Zeiten«, pfiff Solveigh durch die Zähne.
»Weiter im Text«, mahnte Will und klopfte nervös mit dem Stift auf die Tischplatte. »Ich will mich nicht mit Gerüchten aufhalten, selbst wenn sie stimmen sollten. Das Biest hat weit mehr Schuld auf sich geladen, so oder so.« Er nickte Irina zu, die sich beeilte fortzufahren.
»Im Jahr 1998 verliert sich seine Spur vollständig. Seine Unternehmensbeteiligungen hat er verkauft, wir vermuten, dass er sein Portfolio diversifiziert hat. Aktien aus dem Ausland, Häuser, Land, Gold. Er hat mit Sicherheit einen neuen Namen angenommen, vermutlich lebt er die meiste Zeit im Ausland und hält nur informell ein paar alte Kanäle offen. Aber auch das ist nur eine Vermutung…«
Der Stift trommelte weiter ein schnelles Stakkato. »Das reicht nicht«, murmelte Thater.
»Und was ist mit dem anderen Foto?«, fragte Eddy.
»Was für ein Foto?«, der Stift hielt inne.
»Das ist nicht bestätigt, und wir sind uns nicht einig. Die Gesichtserkennungssoftware bestätigt zweiundfünfzig Prozent, also viel zu wenig Merkmale für eine Übereinstimmung.«
»Ich will es sehen«, entschied Will. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um
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