Biest: Thriller (German Edition)
hatte der Besitzer eine Ecke mit Computern installiert, ein selbst gedrucktes Transparent versprach Sport- und Pferdewetten über das Internet. So viel zum Thema Glücksspielmonopol in Deutschland, dachte Eisler. Die Barhocker waren in ebenso schlechtem Zustand wie der Teppich, aber die Theke schien frisch gewischt. Nachdem er etwa fünf Minuten gewartet hatte, ohne sich bemerkbar zu machen, tauchte aus einer schwarzen Tür, von der er vermutete, dass sie zur Küche führte, ein dickbäuchiger Mann im schwarzen T-Shirt auf. Er schwitzte stark, trug vier Wasserkisten in den riesigen Händen und blickte ihn missmutig und zugleich erstaunt an. Thomas Eisler lächelte: »Ich bin auf der Suche nach Doreen Kaiser«, sagte er wahrheitsgetreu. Robbie, so seine Vermutung, war sicher kein Zuträger der Behörden, ganz abgesehen von der Frage, was er ihnen hätte zutragen können. Ein alter, viel zu gut gekleideter Mann war heute bei mir und hat nach Doreen gefragt, zum Beispiel. Ende der Geschichte. Robbie deutete mit einem gleichgültigen Blick auf eine weiße Tür, die, den Schildern nach zu urteilen, zur Toilette führte. »Macht Kasse«, war der knappe Kommentar. Also nicht nur die Toilette, vermerkte Eisler für sich. Kasse war gut, Kasse hieß, sie war vertrauenswürdig, trank wahrscheinlich nicht übermäßig. Das war gut. Denn für das, was er mit ihr vorhatte, würde sie alle fünf Sinne brauchen. Und vielleicht noch den einen oder anderen mehr. Er schwang sich von dem Barhocker und öffnete die weiße Tür. Der beißende Geruch von Chlor und vieler Zitrusklosteine empfing ihn in einem dunklen Gang mit den Toiletten zur Rechten. Am anderen Ende erkannte er eine weitere Tür mit der Aufschrift ›PRIVAT‹. Thomas Eisler klopfte, was beinahe ohne Zeitverzug mit einem überraschten, aber freundlichen ›Herein‹ quittiert wurde.
Im Büro des Casinos erwarteten ihn ein ordentlich aufgeräumter Schreibtisch und eine große Topfpflanze, die er hier niemals vermutet hätte. Und die Erscheinung, die gerade etwas vom Boden aufgelesen hatte und sich nun erstaunt aufrichtete, ebenso wenig. Doreen Kaiser war immer noch eine schöne Frau. Auch nach zwanzig Jahren strahlte sie auf eine so positive, fröhliche Art und Weise hinter diesem Schreibtisch an diesem unsäglichen Ort, dass Eisler in der ersten Sekunde bereits wusste, dass er seine Kandidatin gefunden hatte. Ihre Figur war weiblich und attraktiv, das blonde Haar zu einem modischen Pagenkopf geschnitten, sie trug einen sicherlich überaus günstigen, aber vorteilhaft geschnittenen roten Rock und eine ordentlich gebügelte Bluse mit Nadelstreifenmuster. Und sie blickte ihn an, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Ihr Mund stand offen, aber ihre Augen lächelten bereits ob des unerwarteten Wiedersehens. Sie waren nicht im Schlechten auseinandergegangen, im Gegenteil.
»Hallo, Doreen«, sagte Eisler.
»Thomas! Bist du das wirklich?«, fragte sie ungläubig.
»Meistens nenne ich mich heutzutage anders«, bemerkte er, machte einen Schritt auf sie zu und schloss sie in die Arme.
»Mein Gott, es ist so lange her«, sagte Doreen und weinte fast. Er hielt sie einen Moment lang fest wie eine lange verloren geglaubte Tochter und drückte sie dann sanft von sich.
»Kein Grund, traurig zu sein, Doreen. Ich habe einen Auftrag für dich.«
In Doreens Augen konnte er sehen, dass sie darauf gehofft hatte. Dass sie vielleicht die ganzen Jahre darauf gewartet hatte. Zwanzig Jahre. Wie oft musste sie sich eingestanden haben, dass es keine Aufträge mehr geben würde; ihren Staat, für den sie spioniert hatte, gab es nicht mehr. Aber es gab immer neue Auftraggeber.
»Einen Auftrag?«, frage sie ungläubig. »Wie früher?«
»Wie früher, Doreen. Nur viel besser bezahlt. Und jetzt lass uns gehen.«
Doreen bestand darauf, die Abrechnung fertig zu machen und ihre Vertretung anzurufen. Das sei sie Robbie schuldig. Thomas Eisler ließ sie gewähren und verabredete sich mit ihr für denselben Nachmittag in einem Café auf dem Ku’damm. Als er aus dem Casino auf den viel befahrenen Mehringdamm trat, schien schon wieder die Sonne. Und er war seinem Ziel, bis in drei Monaten seine operativen Einheiten aufgestellt zu haben, ein großes Stück näher gekommen. Er hatte Anatoli Kharkov den Zeitplan fest zugesagt, und mit Doreen war ein wichtiges Puzzlestück an seinen Platz gerückt.
KAPITEL 11
Prag, Tschechische Republik
15. September 2012, 14.50 Uhr (wenige Stunden später)
Als Solveigh
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