Biest: Thriller (German Edition)
Anzeige in ihrem Kopf zeigte nur noch Bombe – Zünder. Und Gürtel. Noch zehn Zentimeter. Ihr Gehirn traf die Entscheidung, bevor Solveigh es bewusst wurde. Sie stürzte nach vorne, warf sich auf den scheinbar reglosen Körper und presste ihr linkes Knie mit dem gesamten Körpergewicht direkt auf sein Handgelenk. Er schrie vor Schmerz und Zorn. Solveigh drückte ihm den Lauf ihrer Pistole an die Halsschlagader, bis er verstummte. Sein Helm musste von innen blutgetränkt sein, die rote Körperflüssigkeit sickerte schon aus einem kleinen Spalt am Visier. Schon ihre erste Kugel hatte ihn übel zugerichtet. Vorsichtig öffnete Solveigh seine Lederjacke, um den Zünder zu finden, den sie am Gürtel vermutete. Aber da war nichts. Kein Zünder, kein Handy, das man als Zünder hätte missbrauchen können. Was hatte er so verzweifelt zu fassen versucht? Sie tastete die Hosentaschen ab und lächelte. Plötzlich wusste sie, was er gesucht hatte. Sie beließ es dabei und begutachtete stattdessen die Wunde am Oberkörper – ein glatter Durchschuss. Er hatte eine Menge Blut verloren. Er wehrte sich jetzt nicht mehr, er wusste, dass er am Ende war. Und Solveigh wusste, dass er es wusste. Profis spielten nicht mit ihrem eigenen Leben, sie versuchten es zu retten. Alles andere waren Hirngespinste aus Romanen oder Hollywoodfilmen. Kaum ein Attentäter war bereit, für einen Auftrag sein Leben zu riskieren, das taten nur tumbe Dummköpfe, und solche hielten in dieser Profession im Allgemeinen keine zwei Jahre durch – geschweige denn über fünfzehn, wie Thanatos.
»Hören Sie mich?«
Ein leichtes Nicken war ihr Antwort genug.
»Ich werde Ihnen jetzt den Helm abnehmen, um zu sehen, wie es um Sie steht, okay?«
Ein weiteres Nicken. Zwei Profis. Ein Verlierer.
Vorsichtig löste Solveigh den Gurt unter dem Helm und zog ihn langsam von seinem Kopf. Sein Körper krampfte vor Schmerzen und zitterte unter ihren Beinen, aber Solveigh ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie wollte ihm in die Augen blicken, und vor allem wollte sie, dass er ihre sah. Sie entfernte die grünen Kontaktlinsen der Dr. Andrea Falk. Er sollte die Augen aus Athen sehen. Von damals. Und heute wieder. Ihre Entschlossenheit, damit ihm klar würde, welchen Fehler er begangen hatte, sich mit der besten Einheit Europas anzulegen, in dem er einen ihrer Leute verstümmelte. Seine Schmerzen scherten sie nicht, Dominique hatte damals ungleich größere ertragen müssen. Unter dem Helm kam ein grauer Haarschopf zum Vorschein, der eher zu einem Dirigenten als zu einem Auftragsmörder gepasst hätte. Sollte es tatsächlich keine Perücke gewesen sein, wie sie immer angenommen hatten? Diese Erkenntnis würde warten müssen, zu viel Blut. Er hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Es stand schlimmer um ihn, als sie vermutet hatte. Er würde nicht durchkommen. Auf einmal drang ein Röcheln aus seiner Kehle, und er spuckte Blut auf Solveighs Rock. Sie drehte ihm den Kopf zur Seite, damit die Schwerkraft ihm half. Langsam schwenkte er seinen Kopf zurück und öffnete die Augen. Solveighs Pupillen verengten sich, als der Hass aus ihren Augen wich. Wenn es zu Ende ging, verdiente jeder Mensch Respekt, selbst Thanatos. Ohne die Pistole auch nur einen Millimeter von seiner Halsschlagader wegzubewegen, griff sie in seine Hosentasche, wo sie das vermutete, wonach er im Sterben gegriffen hatte. Er lächelte, als sie eine Zigarette anzündete und ihm zwischen die Lippen hielt. Er zog gierig, als handelte es sich um Medizin, die seinen Zustand verbessern könnte. Was die Zigarette für einen langjährigen Raucher wohl auch tat. Als er den letzten Zug inhaliert hatte und die Glut schon beinah den Filter versengte, schloss er wieder die Augen. Solveigh wusste, dass er sie nie mehr öffnen würde. Der Tod eines Menschen war für Solveigh immer wieder eine bemerkenswerte Erfahrung. Obwohl sie wusste, für welche Gräueltaten er verantwortlich war, schien doch auch bei seinem Tod ein Licht auf dieser Welt auszugehen, was sie traurig stimmte. Trotz aller militärischen Ausbildung, die sie genossen hatte, konnte sie dieses Gefühl nicht ablegen. Sie spürte unter dem Druck ihrer Pistole, wie er aufhörte zu atmen, spürte es unter ihrem Knie, das immer noch auf seinem Handgelenk lag, wie die Spannung, die jedem lebendigen Körper innewohnt, nachließ. Zur Sicherheit prüfte sie mit ihrer freien Hand seinen Puls. Thanatos war tot. Sie hatten es geschafft. Sie blieb noch drei Sekunden
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