Biest: Thriller (German Edition)
Militär bewachten Containersiedlung vor den Toren von Tel Aviv. Er hatte sich nicht näher herangetraut, aber dennoch einige Aufnahmen von Leuten geknipst, die das Gelände verlassen hatten. Fast alle waren in Zivil gekleidet, aber ihre Bewegungen verrieten sie trotzdem als Militärs, zumindest glaubte Marcel das – er hatte noch keine Gelegenheit gefunden, die Bilder auszuwerten. Es folgten mehrere Fahrten zwischen Solveighs Hotel und der Mossad-Zentrale, zwei Spaziergänge, bei denen sie aber anscheinend niemanden getroffen hatten. Und heute? Sie waren auf dem Weg nach Norden, Richtung Haifa, der drittgrößten und wichtigsten Hafenstadt des Landes. Yael saß am Steuer der amerikanischen Limousine, Solveigh auf dem Beifahrersitz. Im Grunde passen die beiden gar nicht so schlecht zueinander, sinnierte Marcel, während er sich hinter einen roten Pick-up-Truck zurückfallen ließ. Langsam bekam er Übung darin, er fühlte sich fast ein wenig wie James Bond. Für Arme, fügte er nach einem kurzen Seitenblick auf den Toyota hinzu. Nach einer guten Stunde erreichten sie die Ausläufer der Stadt, im Hintergrund war schon gut der Carmel-Berg zu erkennen mit den Gärten und dem Schrein des Bab, dem Wahrzeichen der Stadt. Sie umrundeten ihn und näherten sich eine weitere Viertelstunde später dem Hafen. Der Verkehr in Haifa war kaum besser als der in Tel Aviv oder Rom, die Hupe und das Gaspedal schienen das Wichtigste an einem Auto zu sein. Mehrmals fluchte Marcel, als ihm andere Fahrer den Weg abschnitten, aber es gelang ihm jedes Mal, an den beiden dranzubleiben. Sie parkten in der Nähe des Kreuzfahrtterminals und stiegen aus ihrem Wagen. Fast simultan setzten die beiden Agentinnen ihre Sonnenbrillen auf und gingen mit entschlossenen Schritten in Richtung des Gebäudes. Marcel stellte den Yaris vor einer Pizzeria ab und lief ihnen hinterher, sorgfältig darauf bedacht, jederzeit hinter einem Auto oder einer Ecke in Deckung gehen zu können. Natürlich hatte er sein leistungsstärkstes Teleobjektiv auf der Kamera, er brauchte die Gesichter von den Menschen, mit denen sie sich trafen, so scharf wie möglich. Während sich Marcel bei einer Boutique für einen Ständer mit bunten Schals interessierte, befragte Solveigh einen Reedereimitarbeiter, der aussah wie die Albinoversion eines Airline-Stewards. Klick. Yael mischte sich gestikulierend in die Diskussion ein und reichte dem Mann ein Foto. Klick. Ein Mann mit Sonnenhut, älteres Semester. Klick. Der Albino nickte. Klick. Nach einer kurzen Konversation nickte er erneut. Klick. Und zog ein rotes Tau zur Seite, das wohl als Absperrung diente. Klick. Er bedeutete ihnen zu folgen. Klick. Das war’s. Marcel würde ihnen niemals in ein Büro oder gar auf ein Schiff folgen können, ohne aufzufliegen. Was er hatte, musste reichen. Denn langsam, aber sicher war es an der Zeit, nach Paris zurückzufahren und in der Redaktion eine erste Analyse anzufertigen. Sie musste hieb- und stichfest werden, wenn er seine Story intern verkaufen wollte, und er schätzte, dass er mindestens zwei Wochen brauchen würde, um alle Fäden zu einem logischen Muster zusammenzuspinnen. »Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, hatte er gesagt. Der Chefredakteur. Und dann ermahnend hinzugefügt: »Aber übertreiben Sie es nicht.« Er würde Marcels Aufenthalt in Israel nicht bereuen, da war er sich sicher. Aber er hatte die Rechnung ohne den »Echo« gemacht.
KAPITEL 20
Mannheim, Deutschland
10. Oktober 2012, 15.31 Uhr (anderthalb Wochen später)
Der ICE aus Berlin fuhr mit einem leisen Summen an, begleitet vom Quietschen der sich lösenden Bremsen, und ließ Doreen Kaiser auf dem Bahnsteig in Mannheim zurück. Der Wind pfiff über die Bahngleise und trieb staubkornfeine Eiskristalle in ihr Gesicht. Der Bahnhof in Mannheim war eine Durchgangsstation, kein Ort, um anzukommen, auch nicht für sie. Doreen ließ den Griff des kleinen Rollkoffers hochschnappen und folgte der Menschenmasse Richtung Treppe. Als sie keine hundert Meter entfernt den Koffer wieder hochwuchtete, diesmal zum Bahnsteig mit der Nummer zehn, übertönte eine blecherne Stimme das Gemurmel der Passagiere und das Kratzen der Rollkoffer auf dem Split.
»Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie …«
Das verhieß nichts Gutes, wusste Doreen. »Bitte beachten Sie« hieß fast immer, dass es ein Problem gab. Die monotonen Durchsagen an Bahnhöfen folgten seit je eisernen Gesetzen, allen voran dem, niemals zu sagen, was
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