Biest: Thriller (German Edition)
trainieren, diese Brücke aufzubauen. Weiteres wurde nicht von ihm verlangt, obwohl auch er ein Sturmgewehr auf dem Rücken trug. Dafür musste er genau diesen Auftrag in absoluter Perfektion erledigen, die sich nur durch unendlich viele Wiederholungen erreichen ließ. Fünfzig Meter weiter hatte er die Konstruktion fertig. Etwas zu weit weg von seinem Hindernis. Er hatte zu früh angefangen. Thomas Eisler hörte zufrieden den Pfiff des Ausbilders, den er angeheuert hatte.
Erst gestern hatte er ihnen erklärt, worum es bei ihrem Auftrag wirklich ging. Es entsprach in etwa dem Profil, für das sie bei ihren früheren Einheiten ausgebildet worden waren: unerkannt eindringen, sabotieren und ebenso unerkannt entkommen. Ihre Feuerwaffen trugen sie nur für den Fall, dass etwas schiefging. Und das durfte nicht passieren. Es würde nicht passieren. Das sah er in ihren Gesichtern. Die Männer stammten hauptsächlich aus Aufklärungseinheiten, die hinter feindlichen Linien operierten, und er hatte darauf geachtet, dass jedem Team mindestens einer zugeteilt war, der die Landessprache ihres jeweiligen Zielobjekts beherrschte. Sie waren der Garant dafür, dass in der Bevölkerung hysterische Panik ausbrechen würde. Sie waren der Teil, auf dem er bestanden hatte, weil er einem Computervirus alleine nicht vertrauen wollte. Die Männer würden parallel zu ihrem Anschlag auf die Computersyteme einen konventionellen Anschlag durchführen. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Eine dreckige Bombe mit dem radioaktiven Material, das er auf einem polnischen Parkplatz in Empfang genommen hatte. Sie waren gewissermaßen die Lungenentzündung für seinen krankheitsgeschwächten Patienten, der sich Europa nannte. Diese Männer waren das, was seinen Patienten umbringen würde.
KAPITEL 22
Amsterdam, Niederlande
25. Oktober 2012, 15:28 Uhr (zwei Wochen später)
Dominique Lagrand biss die Zähne zusammen, der Schmerz in seinen Knien war beim Freihändigstehen noch immer beinahe unerträglich. Sophie, seine Physiotherapeutin, saß auf einem Gymnastikball, was sie gerne tat, und wippte, während sie ihn anstrahlte. Sie war eine Sadistin. Auch wenn er sie mochte.
»Du machst das gut, Dominique. Noch fünf, vier, drei, zwei eins. Und … die Stangen.«
Dominique blies ein wenig Speichel durch die Zähne, nur Millisekunden bevor seine Hände die beiden Holzstangen fanden, die es ihm erlaubten, seine Beine zu entlasten. Es war unfassbar, was in so einem Bein alles degenerieren konnte, wenn man es nicht mehr benutzte. Seine Knochen waren mittlerweile – gut ein Jahr nach dem schrecklichen Ereignis in einem Athener Lagerhaus – recht gut verheilt, aber die Muskeln und Sehnen waren verkümmert. Die Nerven wollten nicht mehr wie er, sein Gehirn bemühte sich, aber die Befehlskette war unterbrochen. Die Hilflosigkeit bei den Übungen machte ihn wütend, auch wenn er wusste, dass das keine besonders sinnvolle Reaktion war. Aber auch wenn er es von Grund auf neu lernen musste, er würde irgendwann wieder laufen, was nach seinem Unfall zwar kein medizinisches Wunder, aber doch eine Überraschung war. Sophie sagte, es liege an ihm, sein Wille sei unzähmbar wie ein übel riechender Tiger. Sie behauptete sogar, ihn schon auf dem Gang riechen zu können, wenn er sich im Rollstuhl durch die Linoleumflure schob. Natürlich machte sie Witze, aber er mochte die zierliche drahtige Frau, obschon sie ihn in den letzten sechs Monaten unfassbar gequält hatte. Sein eigener Quälgeist ließ ihn auch abends selten in Ruhe, wenn er die Übungen alleine zu Hause wiederholte, um noch ein wenig schneller aus diesem verdammten Ding zu kommen. Wenigstens hatten sie seinen Peiniger endlich erwischt, genau wie Will es versprochen hatte.
»Und noch eine Runde freies Stehen, bitte. Dominique!«, forderte die Physiotherapeutin mit gespielt strengem Blick, sie wippte noch immer auf dem Ball, scheinbar ohne Kraft aufzuwenden, wie ein Perpetuum mobile. Dominique ließ die Stangen los, und sein Körper versuchte, die Schwerkraft zu überlisten. Jeder Mensch tat das unbewusst, jede Millisekunde, die er auf zwei Beinen stand, und es fiel einem nicht einmal auf. Erst jetzt lernte Dominique, dass der aufrechte Gang keine Selbstverständlichkeit, sondern geradezu ein Wunder war. Sie ließ ihn diesmal noch länger balancieren, und auf einmal spürte Dominique, wie sich etwas verändert hatte. Diese Übung gehörte seit über drei Monaten zum Abschluss ihres Tagespensums, und doch hatte
Weitere Kostenlose Bücher