Biest: Thriller (German Edition)
Und so unprofessionell seine Kleidungswahl gewesen war, die sicher darauf abgezielt hatte, dass sie sein Gesicht nicht sofort erkennen konnte, so clever war sein Vorgehen, sie beim Joggen abzupassen. Einer Sucht, die sie nicht lassen konnte, sobald sie mehrere Tage hintereinander in einem stickigen Büro verbringen musste, und das hatte er eiskalt ausgenutzt. Was würde passieren, wenn sie ihm quasi frei Haus die Story mitlieferte? Es war doch nur eine Kleinigkeit, die ihr entgangen war, oder nicht? Als sie die Vorfahrt ihres Hotels erreichte, hatte sie die Entscheidung getroffen, einfach keine Entscheidung zu treffen.
KAPITEL 18
Moskau, Russland
01. Oktober 2012, 22.35 Uhr (eine Woche später)
Dimitrij saß auf dem Sofa seiner neuen Wohnung, luxuriöse 90 Quadratmeter in einem der schicken neuen Hochhäuser, und blickte nachdenklich auf die Schneeflocken, die sich auf seinem Balkon wilde Schlachten mit dem Wind lieferten. Angestrahlt von einer Lichterkette, die Maja in einem Anflug weihnachtlicher Stimmung um den Handlauf gewickelt hatte, stoben sie in kleinen Wirbeln an den Seitenwänden auf, um sich schließlich größtenteils auf einer Verwehung am Boden niederzulassen. Aus der Küche hörte er ihre Stöckelschuhe auf dem Fliesenboden, Gucci, neuestes Modell. Seit sie umgezogen waren, ging Maja in teure Boutiquen und kaufte goldene Figuren für den Kaminsims, suchte neue Vorhänge aus oder brachte ihm ein kalbsledernes Portemonnaie mit oder eben neue Guccis für sich. Sie hatte einen sehr russischen Geschmack, was Einrichten und Luxusartikel anging. Er hatte sich bei der Personalabteilung einen Teil seines Bonus als Vorschuss auszahlen lassen müssen, denn er verdiente jetzt zwar knapp 2,5 Millionen Rubel, aber das entsprach in westlichen Währungen gerade einmal 80000 Dollar. Kein Gehalt, mit dem sich auf Dauer ein solcher Lebensstil finanzieren ließ. Dimitrij dachte an das Leuchten in ihren Augen und wie atemberaubend sie in den neuen Sachen aussah, und beschloss, diese Diskussion zu vertagen. Er hatte Wichtigeres zu tun, und wenn er das Projekt für den Boss zu Ende gebracht hatte, würde es keine Schwierigkeiten mit dem Bonus geben. Mit dem Suchen-Befehl klickte er den nächsten Textbaustein an, der die Buchstabenkombination mrxnet.sys enthielt. Er war immer noch dabei, die Software zu entschlüsseln, die Viktors Vater ihnen auf einer Speicherkarte übergeben hatte, als enthielte sie nicht weniger als den Heiligen Gral. Dimitrij war überzeugt davon, dass die Speicherkarte in dem Telefon gesteckt hatte, das der alte Mann auf das Schiff vor der damaltinischen Küste gebracht hatte, als er und Viktor vom Jetskifahren zurückgekommen waren. Er wusste nicht, warum, aber der Mann passte zu dieser Software. Sie waren beide gleichermaßen irgendwie unheimlich. Dimitrij hatte nach wenigen Minuten gewusst, dass es sich um eine Schadsoftware handelte, aber sie gab ihm immer neue Rätsel auf. Normalerweise waren Viren, Trojaner oder Würmer, wie diese kleinen Biester auch genannt wurden, sehr klein und besaßen maximal die Größe einer kleinen Bilddatei. Ganz im Gegensatz zu dem, was Dimitrij jetzt seit zwei Wochen analysierte: Es war fast ein halbes Megabyte groß, und es bestand, soweit er bisher gesehen hatte, aus nichts als einfachen Textzeilen, dem Code. Keine Bilder oder Musik oder sonstige Dateien, die viel Speicherplatz verbrauchten. Was nichts anderes bedeutete, als dass es sich um ein äußerst komplexes Schadprogramm handeln musste. Und wie es funktionierte, hatte Dimitrij immer noch nicht herausbekommen. Sicher war nur, dass er tatsächlich das Original, den echten Sourcecode, besaß – also die Datei, an dem der ursprüngliche Programmierer gearbeitet hatte. Er hatte sie in kleine handliche Stücke unterteilt, um zu verstehen, wie er sie aufgebaut hatte. Und der Teil, an dem er im Moment arbeitete, schien ihm ein guter Anfang zu sein. Hier wurde offenbar festgelegt, wie sich die Software verbreitete. Und was er entdeckt hatte, war eine dicke Überraschung: Offenbar nutzte das Programm eine ihm bisher unbekannte Schwachstelle von Windows-Betriebssystemen, die es dem Programm erlaubte, sich von einem USB-Stick ohne weiteres Zutun des Nutzers auf dessen Computer zu installieren. Das Interessante daran war, dass solche neuen Schwachstellen extrem selten und daher sehr teuer waren. Er kannte nur einen Wurm, der diese Schwachstelle nutzte, aber es war unmöglich, dass es sich um diesen handeln konnte.
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