Biest: Thriller (German Edition)
ein Polizeifahrzeug hier und da ließ darauf schließen, dass es sich noch nicht um die tiefste Provinz handelte. Gerade die verkehrsgünstige Lage nahe dem Autobahnring um Moskau machte diese Gegend so beliebt, und die neuen Herrscher des Riesenreichs hatten mit skrupellosen Methoden, von denen Bestechung noch die freundlichste war, dafür gesorgt, dass sie jetzt weitestgehend unter ihresgleichen residierten. Sein gemieteter SUV fiel jedoch weder einem der Polizisten noch einem der ihn überholenden Sportwagen auf, in dieser Gegend fuhren sogar die kleinen Hausangestellten Mittelklassegeländewagen aus Deutschland. An der Abzweigung zu Anatolis Haus stand keine Polizei, und nur ein kleines Emailleschild mit der Hausnummer 88 verriet ihm, dass er die richtige gefunden hatte. Eisler parkte den Wagen vor dem großen schmiedeeisernen Tor, das sich öffnete, kaum dass er ausgestiegen war. Ein strahlender Anatoli kam aus der riesigen Villa, die aussah wie ein versteinertes Raumschiff von Luigi Colani, und breitete die Arme aus.
»Eisler, mein Lieber! Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.«
Vermutlich hat er eine neue Liebhaberin, schätzte Eisler, dem die gute Laune des Russen sofort verdächtig vorkam. Als Erstes musste er eine Führung durch die Datscha über sich ergehen lassen, die für diese Gegend sicherlich nicht sonderlich imposant war. Eher obere Mittelschicht. Natürlich hatte Eisler immer gewusst, dass hinter dem Wodkamanager noch ein weiterer, ungleich mächtigerer Auftraggeber stehen musste. Es ärgerte ihn nur, dass er immer noch nicht herausgefunden hatte, um wen es sich dabei handelte. Er vermutete einen Oligarchen der ersten Stunde aus der Jelzin-Clique. Und es gab einen Namen. Besser gesagt, einen Decknamen, der immer wieder auftauchte und der selbst Thomas Eisler noch in seinem Alter und bei seiner Erfahrung einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Das Biest. Ein Phantom. Während er über den Hintermann sinnierte, schmunzelte er und nickte, als Anatoli ihn auf ein riesiges dunkles Bild im sogenannten Salon hinwies. Es nahm die gesamte Wand gegenüber der Glasfront ein, die einen Blick in den Park erlaubte. Erst in gebührendem Abstand zum Haus begannen die dichten Kiefernwälder mit ihren dünnen Stämmen und dem buschigen Nadelgrün. Eisler fand, dass das stimmungsvolle Gemälde als Kontrast zu den dunklen Kiefernwäldern geradezu exquisit ausgesucht worden war – im Gegensatz zum Rest des Hauses.
»Ein Anselm Kiefer aus Deutschland«, referierte Anatoli über das Bild. »Also ein Landsmann von Ihnen, nicht wahr?«
Er klopfte ihm dazu auf die Schulter. Anatoli stand neben Eisler, der einen pflichtschuldigen Blick auf das Kunstwerk warf.
»Und stellen Sie sich mal vor: Das Ding verliert dauernd Stroh.«
Thomas Eisler zog eine Augenbraue hoch.
»Mein Ernst. Der Anselm hat das angeklebt. Ich ruf den Händler an und sage: Der Kiefer haart. Und was sagt der?« Er lachte schon jetzt über seinen eigenen Witz.
»Das muss so sein, Mr Kharkov. Das Bild entwickelt sich. Es lebt! Dass ich nicht lache! Fast zwei Millionen hab ich für das Ding bezahlt, und der sagt, es muss leben!«
»Und was haben Sie gemacht?«, fragte Eisler, ohne zu wissen, ob er die Antwort wirklich hören wollte.
»Na, ich hab’s wieder drangeklebt!« Jetzt lachte sogar Thomas Eisler, wenn auch aus vollkommen anderen Gründen als der Russe. Sie nahmen auf einem großen Ledersofa vor der Fensterfront Platz, und die Stimmung kippte von einer Sekunde zur anderen von heiterem Plausch zu geschäftlicher Unterredung. Anatoli servierte noch einen Fruchtsaft aus einer Karaffe und kam dann ohne Umschweife zur Sache.
»Also, Eisler, was haben Sie mir mitgebracht?«
Eisler zog einen dicken braunen Umschlag aus seiner Ledertasche und räusperte sich: »Nun, Mr Kharkov, wie ich Ihnen schon bei unserer letzten Besprechung angekündigt habe, sind die Vorbereitungen fast abgeschlossen. Ich habe insgesamt acht Ziele aus Ihrer Liste ausgewählt, wie gewünscht mit Schwerpunkt Frankreich, Deutschland, Schweden und England.«
Er reichte ihm den Ausdruck einer Wikipedia-Seite, auf denen einige Kernkraftwerke mit Kuli markiert waren. Obwohl er wusste, dass die Behörden heutzutage Papier kaum jemals kontrollierten, hatte er dennoch darauf geachtet, nicht mit verfänglich aussehendem Material zu reisen.
»Den Zugang zu den jeweiligen Zielen erreichen wir über mehrere Methoden, deren genaue Funktionsweise ich Ihnen lieber nicht
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