Biest: Thriller (German Edition)
etwas.«
»Aber …«, stammelte Marcel in einem letzten Versuch zur Rettung seines Themas, »wie erklären Sie sich dann das Interesse an Thomas Eisler?«
»Marcel«, seufzte der betagte Chefredakteur. »Wer kennt den denn noch? Und wen lockt der hinter dem Ofen vor? Ich meine, mal ganz ehrlich: Der Mann ist jetzt wie alt? Fünfundsiebzig? Und was soll das für ein Computervirus sein? Dann funktionieren halt mal die Computer nicht, das ist sicher kein Beinbruch.«
»Wenn Sie sich da mal nicht täuschen«, murmelte Marcel. Er hatte zwar noch keine Ahnung, wofür Stuxnet eingesetzt werden sollte, aber nach seinen Recherchen war ihm durchaus klar, welchen Schaden er anrichten konnte.
»Basta. Sie kümmern sich um den Verteidigungsminister und die CIA.« Er klappte sein Notizbuch auf, um Marcel zu zeigen, dass die Audienz beendet war. Niedergeschlagen klaubte Marcel seine Fotos zusammen und stopfte sie zurück in seine Fototasche. Als er sich zum Gehen wandte, blickte der Bleistift noch einmal von seinen Notizen auf: »Ach, Marcel? …« Er hielt inne und hätte beinah zu einer Antwort angesetzt. »Aber Ihre Bilder … die sind nicht schlecht. Machen Sie weiter so, okay?« Er lächelte beinah. Und Marcel musste entscheiden, ob er seine Zukunft beim »Echo« wegen eines vagen Gefühls aufs Spiel setzen sollte. Er musste einfach noch mehr aus Solveigh herausbekommen. Und vielleicht hatte er ja noch heute Abend Gelegenheit dazu.
KAPITEL 27
Moskau, Russland
22. Dezember 2012, 16.04 Uhr (vier Tage später)
Der Engländer betrachtete seine graue Haut im Spiegel auf der schäbigen Tankstellentoilette. Er hatte das Gefühl, dass seine hervortretenden Augen immer schlimmer wurden. Aber natürlich konnte das auch reine Einbildung sein. Er pulte ein Stück Haselnuss zwischen zwei Schneidezähnen heraus und schloss die Tür auf. Nachdem er beim letzten Mal wieder einmal eine von seinen Eskapaden hatte beseitigen müssen, wartete heute ein sehr viel umfangreicherer Auftrag auf ihn. Drei Menschen mussten ausgeschaltet werden. Anatoli und Viktor Kharkov. Laut seiner Liste Vater und Sohn. Bei Ersterem handelte es sich um den Mann, den er auf der Insel vor Dubrovnik gesehen hatte. Ein dicklicher Exfunktionär mit zu hohem Blutdruck. Er würde kein Problem darstellen. Ebenso wenig wie sein Sohn, der ihm als Schnösel beschrieben worden war. Die dritte Person auf der Liste war ein gewisser Dimitrij Bodonin. Angeblich ein ziemlich cleverer Bursche. Ursprünglich hatte er mit ihm anfangen wollen, aber aus irgendeinem Grund wurde der Junge verfolgt. Von ziemlichen Dilettanten, die zwar wechselnde Fahrzeuge einsetzten, aber sich in etwa so unauffällig anstellten, wie das Biest seine Geliebte umgebracht hatte. Nur aus diesem Grund hatte Dimitrij noch ein paar Tage länger zu leben. Der Mann startete den Motor seines alten Ladas, den er bei einer kleinen Autovermietung bestellt hatte, und rollte vom Hof der Tankstelle.
Über eine halbe Stunde später erreichte der Mann den überdimensionalen Parkplatz der Filiale eines schwedischen Möbelhauses im Süden von Moskau. Er kannte sich in Moskau nicht sonderlich gut aus. Zu dem Russen, für den er heute arbeitete, fand er erst vor drei Jahren, er selbst stammte aus Manchester. Aber das war das Schöne an internationalen Marken, stellte er fest, als er den weißen Pfeilen auf dem Boden folgte, die ihn zunächst durch sämtliche fertig eingerichteten Räume eines Famlienhauses führten: Vom Hotdog bis zu Sofakombinationen, man konnte sich darauf verlassen, dass sie auf der ganzen Welt gleich schmeckten respektive aussahen. Und so erreichte er sein Ziel, die Selbstbedienungshalle am Ende des Rundgangs, ganz ohne die Hilfe von Angestellten, die ihn hätten wiedererkennen können. Er bahnte sich seinen Weg zwischen Palettenwagen mit überlangen Schrankwänden darauf und Müttern, die Topfpflanzen vor dem Bauch und ihre Kinder auf dem anderen Arm trugen, hindurch bis in die Abteilung für Haushaltswaren. Es war gar nicht so einfach, wie es sich Laien oft vorstellten, sich in einer fremden Stadt eine Waffe zu besorgen – es sei denn, man kannte sich mit Messern aus und wusste sie zu benutzen. In der Hand des richtigen Mannes konnte auch ein einfaches Küchenmesser zur tödlichen Waffe werden. Der Engländer bevorzugte die japanische Santoku-Klingenform, denn die war kurz genug, um das Messer in einer Jacke zu verstecken, und die Gewichtsverteilung war meistens ausgewogener als beim
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