Biest: Thriller (German Edition)
genau hier lag das größte aller Probleme, rief sie sich ins Gedächtnis, als der zweite Gong ertönte. Die Vertreter der Atomaufsichtsbehörden aus siebenundzwanzig Ländern saßen nun fast vollständig auf ihren Plätzen. Das Gemurmel ebbte ab, als Will Thater, der mittlerweile nicht mehr telefonierte, die Anwesenden begrüßte und noch einmal den Ernst der Lage unterstrich. Die Präsentation der Zahlen und Statistiken übernahm Dominique, der seinen Auftritt sehr souverän absolvierte. Solveigh konnte kaum glauben, dass er sich erst seit diesem Fall eingehend mit Statistik beschäftigte. Beinah leidenschaftlich führte er durch die Kolonnen von Daten. Sie hatten sich nach eingehender Rücksprache mit dem EU-Kommissar für Energie, einem Politiker aus Deutschland, der Englisch mit einem äußerst amüsanten Akzent sprach, dafür entschieden, den Experten keine aufpolierten Folien, sondern möglichst viele Fakten und Rohdaten zu zeigen. Solveigh beobachtete die Gesichter in den Reihen, die Dominiques Vortrag interessiert verfolgten, und sie hatte den Eindruck, dass die meisten auch tatsächlich begriffen, worum es ging. Obwohl sie sicherlich von »Social Engineering«, laut Dominiques Analyse die wahrscheinlichste Infiltrationsmethode der Terroristen, mit Sicherheit noch niemals etwas gehört hatten. Als er zu den Schlussfolgerungen kam, bemerkte sie auf ihrem Computer eine eingehende Textnachricht über das interne Kommunikationssystem der ECSB. Sie klickte das Icon des Programmes an: Die Nachricht war von Marcel.
@Slang #private, 16.Januar 2013, 14.39 Uhr
Hast du die Nachrichten gesehen? Warum halten sie ausgerechnet jetzt ein Geheimtreffen ab?
Offenbar war das außerplanmäßige ENSREG-Zusammentreffen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch an die Presse durchgesickert. Typisch Brüssel. Und Marcel wusste davon. Die große Frage war: Was wusste er sonst noch? Über Weihnachten hatten sie alle beruflichen Themen ausgeblendet und einfach die gemeinsame Zeit genossen. Nicht zuletzt auf Solveighs Initiative, denn es wäre katastrophal gewesen, wenn die Indiskretion ausgerechnet bei der ECSB selbst zu finden wäre. Thater würde sie, ohne zu zögern, einen Kopf kürzer machen, wenn nicht Schlimmeres – er beäugte ihre Beziehung zu Marcel ohnehin schon mit Misstrauen. Und von seinem Berufsethos als Journalist hätte es sich beinahe schon verboten, über eine akute Bedrohung für die Bevölkerung nicht zu berichten. Eine der vielen Zwickmühlen ihrer Beziehung. Neben den vielen belastenden Dienstreisen durften sie sich nicht einmal erzählen, was sie beschäftigte, selbst wenn sie sich sahen. Denn Marcel weigerte sich beharrlich, seine Recherchen offen auf den Tisch zu legen, solange sie nicht das Gleiche tat. Quid pro quo. Katze beißt Schwanz. Trotzdem beschlich sie das Gefühl, dass er einiges herausgefunden hatte, seit er ihnen in Israel gefolgt war. Und seine Frage nach dem Treffen der ENSREG schien ihre Befürchtungen der letzten Wochen zu bestätigen. Während Dominique die Empfehlungen der ECSB zur Schließung der betroffenen Atomkraftwerke präsentierte, tippte sie eine Antwort:
@MarcelL #private, 16.Januar 2013, 14.42 Uhr
Glaubst Du ernsthaft, ich würde das einem Reporter verraten? Bist du noch in Paris?
»Und deshalb«, beendete Dominique seinen Vortrag, »empfiehlt Ihnen die Europol die vorübergehende Abschaltung aller digital geschalteten Reaktoren, bis wir die Terrorzelle identifiziert haben und das Stuxnet-Virus analysieren konnten, um einen ungefährdeten Betrieb der Anlagen zu gewährleisten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.« Er atmete hörbar aus, als er den Satz beendet hatte und das Mikrofon vor sich auf stumm schaltete. Der Saal war ruhig, Dominique erntete keinen Applaus, auch nicht aus Höflichkeit, stattdessen schienen die Delegierten wie versteinert ob des unfassbaren Anliegens, das Dominique ihnen unterbreitet hatte. Mitten in die unangenehme Stille hinein blinkte das Icon auf Solveighs Desktop.
@Slang #private, 16.Januar 2013, 14.49 Uhr
Nein, in München. Bei einer Sicherheitsfirma, die mir bei meinen Recherchen begegnet ist. Hat diese Sitzung vielleicht irgendetwas mit Stuxnet zu tun?
Ein Schuss ins Blaue, da war sie sich sicher. Und dennoch ins Schwarze. Er wusste mehr, als sie geahnt hatte. Aber wie viel? Sie hatte ihm bei ihrer improvisierten Weihnachtsfeier nur mitgeteilt, dass sie nach München fliegen würde. Oder hatte sie doch Landshut erwähnt, und er hatte
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