BIGHEAD - Ein brutaler, obzöner Thriller (German Edition)
muskulös, ein Gesicht wie aus einer Sportzeitschrift, obendrein nach offensichtlich harter Arbeit schweißüberströmt. Aber trotzdem – nicht mein Typ. Immerhin konnte sie verstehen, weshalb Jerrica ihn begehrenswert fand, wenn auch auf eine derbe Art und Weise. »Hallo Goop«, sagte sie. »Wie geht es dir heute?«
»Oh, fein, Miss Charity«, antwortete er voller Schwung und Begeisterung. »War grad’ draußen und hab’ die Kunschtoffleisten angenagelt, wegen die mich Miss Annie gestern nach Roanoke geschickt hat. Sagen Sie, ham Sie Miss Jerrica gesehn?«
»Goop!«, unterbrach ihn Annie. »Bist du fertig mit den Leisten?«
Goop Gooder zögerte. »Ah, oh, nee, nich’ ganz, Miss Annie.«
»Dann mach weiter! Und hör auf, Charitys Freundin zu belästigen. Lass sie in Ruhe und kümmer’ dich um deinen Kram.«
»J-j-ja, Miss Annie.«
Goop verschwand mit hängendem Kopf durch die Hintertür.
»Musst du so grob zu ihm sein?«, fragte Charity vorsichtig.
Annie zerkleinerte weiter das Gemüse. »Du musst wissen, Liebes, dass ich ganz genau weiß, dass Goop ’n feiner, guter Junge is’. Aber wenn’s um weibliche Gäste geht, kann er ’ne echte Nervensäge sein. Ich mag ihn wirklich, aber manchmal muss ich ihm den Kopf zurechtrücken. Ich kann nich’ zulassen, dass Goop deiner Freundin Jerrica auf die Nerven geht.«
»Es ist nur die Schwärmerei eines jungen Mannes«, sagte Charity, aber in Gedanken fügte sie hinzu: Ja, Tante Annie, es ist nur eine Schwärmerei. Die so weit geht, dass Jerrica vorletzte Nacht in deinem Garten Sex mit ihm hatte! »Ich bin sicher, er wird sie nicht belästigen«, sagte sie stattdessen.
»Ich hoffe, du hast recht, Charity, denn ich will nich’, dass deine Freundin zurück in die Stadt fährt und denkt, wir wär’n hier alle ’n Haufen Landeier.«
»Oh, Tante Annie, du bist unmöglich!«
Trotzdem machte Charity sich Gedanken; an ihr war Goop offensichtlich nicht im Geringsten interessiert. Warum sie und nicht ich?, wollte ihre Unsicherheit wissen.
(II)
Das Abendessen war fantastisch, die Gerichte ausgezeichnet. Doch Charity entging nicht, dass Jerrica und Pater Alexander kaum redeten und dass Jerrica niedergeschlagen schien, während der Priester einen abwesenden, nachdenklichen Eindruck machte. Ganz und gar untypisch. Und sie zogen sich auch beide relativ früh in ihre Zimmer zurück.
»Ich frage mich, was sie haben«, sagte Annie. »Meine Güte. Hoffentlich haben ihnen die Eichhörnchen-Pasties geschmeckt!«
»So.« Annie lehnte sich am großen Tisch im Salon zurück. Sie zündete ihre lange Meerschaumpfeife an und Charity dachte sofort: Wenn du dir Sorgen machst, dass die Leute dich für ein Landei halten, Annie – dann schmeiß diese Pfeife weg!
»Nur noch wir beide, alle andern sind im Bett, und es is’ spät und langsam auch ’n bisschen kühl.«
Charity wartete und hörte zu.
»’ne gute Gelegenheit, Liebes, dir was über deine Ma zu erzählen.«
»Ich will alles über sie wissen«, sagte Charity leise.
»Ich hab’ sie Sissy genannt, sie war meine jüngere Schwester und sie war ’ne gute Frau. Und sie hat ’nen feinen Kerl namens Jere geheiratet, kam aus Filbert, so ’nen feinen Kerl hat man selten gesehen. Fing als Hauer im Bergwerk an und hat sich dann zum Schichtleiter hochgearbeitet. Ein feiner, feiner Kerl.«
Ja, ich habe es verstanden. Ein feiner Kerl, lamentierte Charity in Gedanken. Aber sie wusste, dass sie die alte Frau gewähren lassen musste. Sie hatte nun einmal ihre eigene Art, eine Geschichte zu erzählen – eine etwas umständliche Art –, aber wahrscheinlich war es so am besten.
»Dein Daddy, Liebes, war nich’ nur ’n feiner, liebender Ehemann, er war auch vielleicht der bestaussehende Mann in der Gegend. ’ne Menge Herzen wurden gebrochen, als er deine Ma heiratete, aber das war schon in Ordnung so, denn Sissy war ’ne gesegnete Frau. Alles war gut. Deine Ma war schwanger mit dir, dein Daddy machte im Bergwerk Karriere – alles war, wie’s sein sollte. Bis eines Tages ...«
Mein Vater starb, wusste Charity.
»Dein Daddy starb, Liebes. Es ging schnell, haben die Inspektoren gesagt, musst dir also keine Gedanken machen. War sofort tot, haben sie gesagt. Weißt du, ’n Stützbalken im Hauptschacht brach, und die ganze Kohle im Berg stürzte auf deinen Daddy und ’n paar andere feine Kerle runter.« Annie goss zwei Gläser dunklen Himbeerwein ein und wiederholte: »Er war sofort tot.«
»Aber meine Mutter«, begann
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