Bilder aus der Anderwelt
gemeißelt, eine grüblerische Gargyle in einem handgenähten Designeranzug. Er blickte finster drein, und seine großen Hände waren zu Fäusten geballt.
Er stapfte in seinem Büro umher, als suche er etwas. Er schien nicht verängstigt, ja nicht einmal besorgt. Einfach nur übelgelaunt. Er schloss eine Schublade in seinem Schreibtisch auf und holte etwas hervor, das in ein blutrotes Tuch gehüllt war. Er vollführte eine Reihe von Zeichen über dem Bündel und wickelte es schließlich aus, bis es eine klobige, viereckige Konstruktion freigab, die aus stumpf glänzenden Metallteilen gearbeitet war, die in einer Art verbunden waren, dass mir die Augen schmerzten, wenn ich sie nur ansah. Wahrscheinlich der Wassermannschlüssel. Er sah aus wie ein Prototyp, etwas, aus dem man noch nicht alle Macken herausgehämmert hatte.
Max wog das Ding bedächtig in einer übergroßen Hand, dann sah er sich abrupt um, als habe er etwas gehört, was ihm gar nicht gefiel. Er vollführte weit ausholende Gesten mit der freien Hand, und die kabbalistischen Symbole im Boden leuchteten auf. Der Efeu an den Wänden wand sich wie in großen Schmerzen. Eine nach der anderen erglühten und verloschen die Linien am Boden. Max bewegte sich zur Tür.
Ich ging ihm nach, Suzie an meiner Seite. Sie konnte nicht sehen, was ich sah, doch sie vertraute mir.
Soweit sie jemandem vertraute.
Wir folgten Max' Geist durch die halbe Nightside. Ich hatte Mühe, mich weiter auf das Bild aus der Vergangenheit zu konzentrieren. Wenn mein inneres Auge vollständig aufgerissen ist, sehe ich alles, was man in der Nightside sehen kann, und da schwirrt vieles herum, womit der menschliche Geist einfach nicht zurechtkommt. Der ewige Vollmond hing tief am sternengesprenkelten Himmel, zwanzigmal so groß, wie er sein sollte. Etwas Riesiges mit häutigen Flügeln segelte am Mond vorbei und verfinsterte ihn fast vollständig. An den Gebäuden um uns herum gleißten Schutzzeichen, magische Verteidigungsmaßnahmen und in Formen gepresste Flüche waren über die Schaufenster gekritzelt wie zischende und flammende Graffiti. Um mich herum stampften, wüteten und heulten zahllose andere Geister die ganze Zeit über, ohne dass ein einziger Ton vernehmbar gewesen wäre. Erinnerungen, die in immer wiederkehrenden Zeitschleifen gefangen waren wie Insekten in Bernstein.
Dimensionsreisende blitzten auf und verschwanden mit einem Leuchtfeuer wieder aus der Existenz, auf der Durchreise zu einem noch interessanteren Ort. Dämonen ritten ahnungslose Seelen, die Klauen tief in die Rücken- und Schultermuskeln vergraben, während sie in die Ohren ihrer Wirte wisperten. Man konnte immer erkennen, wer auf die Einflüsterungen hörte; diese Dämonen waren besonders fett und aufgedunsen. Winzige, geflügelte Feen, die mit Licht pulsierten, schossen die Straße hinauf und hinab und summten in Mustern, die viel zu komplex für das menschliche Auge waren umeinander und übereinander hinweg. Auch die Schrecklichen, riesig und uralt, walzten durch Straßen und Gebäude, als wären diese einfach nicht vorhanden, und gingen ihren unergründlichen Wege nach.
Ich hielt den Kopf gesenkt, immer auf Max Maxwell konzentriert, und Suzie achtete darauf, dass mich niemand störte oder mir in den Weg kam. Sie hielt ihre Schrotflinte bereit, und niemand zweifelte daran, dass sie sie benutzen würde. Suzie war schon immer eine Befürworterin der altbewährten Taktik der verbrannten Erde gewesen, wenn es darum ging, Probleme aus der Welt zu schaffen.
Max führte uns durchs Zentrum der Nightside und am anderen Ende wieder hinaus, und ich hatte das ungute Gefühl zu ahnen, wohin er unterwegs war. Auch wenn die Nightside zweifellos grundlegend schlimm war, hat selbst sie weithin bekannte schlechte Gegenden, Orte, an die man einfach nicht ging, wenn nur einen Funken Vernunft im Leibe hatte. Einer davon ist der Vergnügungspark. Ursprünglich war er als der erste Themenpark der Nightside überhaupt geplant gewesen, mit Erwachsenen als Zielpublikum. Irgendjemandes brillante Idee; aber irgendwie kam nie der große Durchbruch. Die Leute, die in die Nightside kommen, interessieren sich nicht für künstliche Nervenkitzel; nicht wenn man die echte Ware an jeder Straßenecke bekommt. Der Vergnügungspark hatte vor Jahren schließen müssen, und der einzige Grund, warum er nach wie vor wertvollen Raum besetzte, war, dass nach wie vor diverse Gläubiger über die Rechte stritten. Inzwischen war er einfach eine
Weitere Kostenlose Bücher