Bilder von A.
hatte man einen Vorhang gezogen, eine Art Zelt aufgebaut, dahinter lag eine Frau, die Krebs hatte und schwerer krank war als wir anderen, man wollte ihr so wohl ein wenig Intimität verschaffen oder aber auch ihren Anblick verbergen. Ab und zu kamen Ärzte mit Gerätschaften und machten sich hinter dem Vorhang zu schaffen. Der ganze Krankensaal hörte ihr Stöhnen, Tag und Nacht, aber wir sahen sie nie. Einmal rief sie, und ich lief, die Schwester zu holen, dann beruhigte ich sie, die Schwester werde gleich kommen, aber sie sagte bloß, ach, das hilft ja sowieso alles nichts mehr, und es dauert nicht mehr lange, ich weiß es, aber die Schmerzen. Wenig später wurde sie auf eine andere Station gebracht. Die, in der gestorben wird, nehme ich an. Das Zelt wurde abgebaut, und statt dessen lag nun eine andere junge Frau da, die man nach einer Fehlgeburt »ausgekratzt« hatte.
Vielleicht hatte der arme Embryo in meinem Bauch ja auch wegen all meiner Ängste und wegen der gegenseitigen Fremdheiten, manchmal sogar Feindseligkeitenzwischen A. und mir einfach nicht seinen Platz finden können und war auf die schiefe Bahn geraten, in ein falsches Organ, wo es nicht hingehörte und es zu nix bringen konnte und keine Chance mehr hatte, ein Mensch zu werden.
Nach ein paar Tagen wurde ich wieder nach Hause geschickt, es war ja nun nichts mehr zu machen. Ich fühlte mich so schlecht und hilflos, daß ich gar nicht in meine Wohnung in der Arthur-Becker-Straße zurückkehren wollte, mich statt dessen bei meiner Mutter einquartierte und auf ihr Sofa im Wohnzimmer legte. Sie sollten sich noch ein paar Tage schonen und liegen, hatte der Frauenarzt geraten. Meine Mutter nahm mich auf, aber statt mich zu bemitleiden, drehte sie nur die Augen zum Himmel und fragte, wie blöd wir denn eigentlich seien, erwachsene, aufgeklärte Menschen und dann schwanger werden! Sie tröstete mich zwar nicht, aber sie pflegte mich und brachte mir das Frühstück ans Bett. Wenn A., der ganz in der Nähe wohnte, mich besuchte, wechselte sie ein paar höfliche Worte mit ihm und zog sich dann zurück, ging eine Freundin besuchen oder ins Kino und ließ uns allein. Kopfschüttelnd, wie ich annehme, weil sie sowieso unter jedwedem Gesichtspunkt über unsere Affäre entsetzt war, über den Gewittergoi und darüber, daß er auch noch 15 Jahre älter sein und seine Geliebte über alles im unklaren und ungewissen lassen mußte, und daß ich das alles auch noch so hinnahm und mich offensichtlich irgendeiner Leidenslogik und Leidenslust verschrieben hatte, da ich ja dauernd heulte. Das könne ich nurvon meinem Vater geerbt haben, der auch bloß eine unglückliche Liebesaffäre an die andere zu reihen wisse, um sich dann bei ihr zu beklagen, so daß sie ihren geschiedenen Mann auch noch trösten dürfe. So viele Verrückte auf der Welt, und das nennt ihr dann Poesie! Oh, my Goodness!
Ein einziges Mal sind wir ein Paar gewesen. Eine einzige Woche. Sogar mit »Möchtest du Käse oder Marmelade?«
Da waren wir für sieben Tage nach Moskau gefahren, das hatten wir uns beide gewünscht, ich besonders, denn ich wollte A. dort mit meinen Freunden, den Dissidenten, bekannt machen und ins Taganka-Theater führen, das sich damals auf der Höhe seiner Kunst und seines Ruhmes befand und durch seinen »Star« Wladimir Wyssotzky schon zur Legende geworden war. Ich wollte A.Moskau sozusagen zu Füßen legen, es ihm schenken, mein Moskau. Das andere Moskau, das er nicht kannte. Er kannte im übrigen weder das eine noch das andere Moskau und Rußland sowieso nicht, das Land, aus dem sein Vater nicht zurückgekehrt war. Aber davon sprachen wir nicht, sondern taumelten durch die Woche von einer Begegnung zur anderen, umarmten uns oft, liefen Hand in Hand, blieben stehen, um uns zu küssen, sahen aus wie ein Paar, benahmen uns wie ein Paar und schliefen im Hotel zusammen in einem sehr engen Bett. Offiziell waren wir in zwei Einzelzimmern untergebracht,aber wenn die Etagen-Babuschka, die von ihrem Tisch aus alle Zimmertüren observieren konnte, gerade mit den Maschen ihres Strickzeugs kämpfte oder eingenickt war, schlichen wir uns unerlaubt, wie Schüler beim Klassenausflug, unter allen möglichen Vorsichtsmaßregeln zueinander.
Wir hatten uns nämlich einer offiziellen DDR-Reisegruppe angeschlossen, das war weniger auffällig und bürokratisch unaufwendiger, als wenn ein Moskauer Freund oder Bekannter eine private Einreisegenehmigung für uns besorgt hätte, für deren Beantragung
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