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Bilder von A.

Titel: Bilder von A. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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der Moskauer Gastgeber erst zahlreiche Beurteilungen einholen mußte, von der Polizei, von der Wohn-Parteigruppe und der Betriebs-Parteigruppe, die darüber entschieden, ob er würdig und verläßlich genug war, einen Gast, und käme er auch aus einem »befreundeten Soz-Ausland«, zu beherbergen. Unser Trick mit der Reisegruppe ist der Stasi natürlich nicht entgangen. Wie streng wir beäugt wurden, habe ich erst sehr viel später aus den Stasi-Akten erfahren, wo protokolliert ist, daß ich»ein intimes Verhältnis mit dem (Name geschwärzt) aufgenommen und mit ihm eine Reise in die SU unternommen« hätte, »wo die beiden Verbindungen mit sowjetischen Renegaten und Regimekritikern aufnahmen«, die ich »schon seit einigen Jahren« unterhalten würde. Das hatte die Stasi völlig richtig beobachtet, ich war schon einige Jahre lang nach Moskau gefahren und hatte, genau wie es dort stand, Bücher, Manuskripte und Nachrichten mit hin- und hergebracht.
    Wir hatten uns unauffällig unter die Reisegruppe gemischt, folgten ihr ins Flugzeug, in den Zubringerbus, ins Hotel und setzten uns dann, nach namentlichem Aufruf registriert, von der Reisegruppe ab, wieder wie Schüler, die zur Anwesenheitskontrolle erscheinen, um dann in Ruhe schwänzen zu gehen, übernachteten aber im Hotel und frühstückten dort mit allen zusammen, das war nicht anders möglich und unvermeidbar. Möchtest du Käse oder Marmelade?
    Im Zimmer stand auf dem Nachttisch statt eines Telefons ein Radio, das aussah, als stamme es noch aus der Frühzeit der Rundfunkempfänger, und das auch keinen Pieps von sich gab, an welchem Knopf man auch drückte oder drehte, es blieb stumm, bis es in unserer ersten Moskauer Nacht ohne jede Vorankündigung um Punkt Mitternacht die sowjetische Nationalhymne in einer so ohrenbetäubenden Lautstärke plärrte, daß wir fast aus dem Bett gefallen wären. A. drehte ohne jeden Erfolg an allen Knöpfen und schmiß den Apparat schließlich gegen die Wand, das war das einzige Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen.
    Die Tage verbrachten wir im Kreis von »Renegaten und Regimekritikern«, wie die Stasi richtig observiert hat, entlassenen Universitätsprofessoren, ausgeschlossenen Akademiemitgliedern, degradierten Militärs, Schriftstellern, Künstlern aller Genres, Naturwissenschaftlern, alten und ganz jungen Leuten, meistens saßen wir bei einem von ihnen in der Küche und diskutierten ohne Ende. Bei dieser Gelegenheit war es, daß wir zum erstenMal Sätze hörten wie: Die Sowjetunion, die hält nicht mehr lange zusammen, innerlich nicht und äußerlich nicht, wir werden ihren Zusammenbruch noch erleben! An Kommunismus oder Sozialismus glaubt hier doch keiner mehr, es sei denn, er wird dafür bezahlt. Solche rigorosen Sätze waren wir aus der DDR nicht gewöhnt, wo auch die kritischsten Geister damals, in den siebziger Jahren, noch immer an irgendeinen idealen Sozialismus glaubten. Den realen, den wir zu erleiden hatten, hielten sie nur für eine abartige Verirrung, die es zu verbessern galt. A. zum Beispiel dachte so.
    O nein, hörten wir hier, den Marxismus zu verbessern, den Leninismus zu reinigen sei so irreal, wie das Meer austrinken zu wollen. Solange eine einzige Idee als Grundlage der Gesellschaft ausgegeben werde und als einzig rechtmäßige gelte, solange der Konformismus durch den Staat geheiligt, während die Nichtanpassung als Verbrechen geahndet oder, die gerade neueste Methode, als Geisteskrankheit in psychiatrischen Kliniken »behandelt« werde, gebe es nichts zu retten. Schlimmer noch, es sei ein System, das dadurch, daß es das Verbrechen zum System erhebe und Denunziation als würdigen Dienst belohne, jeden menschlichen Zusammenhalt untergrabe und die Gesellschaft völlig zerstöre. So sei das, und da gebe es nichts mehr zu deuten. Abgesehen davon, daß die Produktivität aller Industriezweige des Landes weit unter der des letzten Zarenreiches liege, wie Sascha Nekritsch bewiesen und öffentlich gemacht hatte, womit seine akademische Karriere dann rasch beendet war.
    Wir diskutierten und trugen unsere Weisheiten zusammen. Eine verschworene Gemeinschaft suchte Trost und Ermutigung im nahen Beieinander. Ab und zu erzählte die eine oder der andere Episoden vom Gulag in Workuta oder Magadan. A. hatte noch nie Menschen mit solchen Schicksalen getroffen und war entsetzt, ja verstört, denn er war ja Marxist und Sozialist und würde es immer bleiben. Trotz alledem.
    Nach der Herkunft seines schockierenden Namens, von

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