Bilder von dir: Roman (German Edition)
ist mit Mom passiert?«, fragte Oneida. Alles entglitt ihr. Sie konnte die Augen nicht mehr offen halten, konnte nichts mehr wahrnehmen. Heute nicht mehr. Sie wollte nur noch eine Antwort auf diese letzte Frage haben, teilte sie ihrem Gehirn mit, nur noch diese eine Antwort abwarten.
Arthur antwortete nicht. Oneida spürte, wie das Auto rückwärts aus der Parklücke fuhr und sich langsam in Korkenzieherwindungen durch die Parkgarage nach unten arbeitete, bis es Straßenniveau erreichte. Sie hörte Arthur mit dem Parkhauswärter sprechen.
»Was ist passiert?« Der Wagen glitt an einem Bordstein entlang, bog nach rechts ab, hielt bei einer Ampel an. Oneidas Augen öffneten sich träge. Runde rote Stopplichter schwankten in der blauen Dunkelheit.
»Es war ein Unfall«, sagte Arthur.
21 Arthurs Unfall
Arthurs Leben wurde von einem Unfall bestimmt.
Sein ganzes Leben. Wirklich alles, überlegte Arthur: Mein ganzes Leben ist so wegen eines Unfalls . Wegen eines Augenblicks, der so nie hätte passieren dürfen – eines Augenblicks, der einen Mahlstrom von Ursache und Wirkung und Zufällen in Gang setzte – das ist die einzige Erklärung. Das ist die einzige Erklärung dafür, wieso er – Arthur Rook, Fotograf, Ehemann, geboren in Somerville, Massachusetts, verpflanzt in die Stadt und den Bezirk von Los Angeles – sich als die einzig nüchterne Person in einem Wagen, der um Mitternacht an einem Freitagabend durch Syracuse, New York, sauste, und in der Position wiederfand, der Tochter der Person, die seine Welt erschaffen hatte – Amy, die Weltenschöpferin – zu erklären, dass er, Arthur, gekommen war, um ihre zu zerstören.
Es war ein Unfall.
»Niemand wird durch einen Unfall betrunken«, widersprach Oneida.
Arthur versuchte über den Rückspiegel Blickkontakt zu Mona aufzunehmen, aber diese starrte aus dem Fenster.
»Schlaft einfach«, sagte Arthur zu den beiden. Er wusste nicht, was mehr Gewalt über sie hatte, der Alkohol oder die Erschöpfung, aber Schlaf war auf jeden Fall die Lösung. Er warf einen Seitenblick auf Oneida, über deren bleiches Gesicht die Lichter der Straßenbeleuchtung huschten, wenn er darunter durchfuhr. Mein Gott, sie sah Amy so ähnlich . Jetzt konnte er es sehen – es war so offenkundig, so klar. Dieses lange Gesicht, ihr Kinn, ihre Nase, ihre Augen, das Timbre ihrer Stimme, und wie sie stand, wie sie ging, nichts als merkwürdige Kanten und flache Ebenen. Architektonischer Brutalismus in Form eines Mädchens. Genauso dürfte Amy ausgesehen haben, als Mona sie gekannt hatte – eine Ansammlung von Einzelteilen, von Stücken, die bis zu dem Zeitpunkt, als sie Arthur traf, gelernt hatten, welche Bedeutung sie im Zusammenspiel hatten, wie sie sich vereint bewegen mussten.
Wieso hatte er das nicht erkannt? Warum hatte er, Arthur, nicht gesehen , was da greifbar vor ihm war – die besten Teile, die Amy zurückgelassen hatte? Ihr Gehirn, ihr Blut, ihr Herz?
Arthur Rook war wach. Er war mehr oder weniger seit drei Stunden und fünfzehn Minuten wach. In dieser Zeit hatte er sich einmal übergeben müssen. Er hatte ein Stück Zitrone gegessen, weil es sich in seiner Hand befand und weil er etwas Kaltes und Saures und Reales schmecken wollte. Er hatte Mona in seinen Armen gehalten, bis sie zu weinen aufhörte. Er war ans Telefon gegangen und hatte es an Mona weitergereicht, als die anonyme Stimme bat, die Mutter von Oneida Jones zu sprechen; da hatte er sich übergeben. Die Mutter von Oneida Jones war Amy.
Seine Amy. Die tot war.
Arthur fädelte sich an der Überführung der Route 81 in den Verkehr in südlicher Richtung ein. Die Reifen surrten auf der Hochbrücke. Theoretisch konnte er nachvollziehen, warum es einfacher gewesen war, Oneida im Ungewissen zu lassen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie man sich auf ein Gespräch wie dieses vorbereitete, geschweige denn, wie es sich anfühlen musste, der Empfänger dieser Nachricht zu sein – aber wäre es nicht einfacher gewesen, ihr von Anfang an die Wahrheit zu sagen? Sie gar nicht erst anzulügen? Nicht, dass sich die Entscheidungen, die Mona vor Jahren getroffen hatte, rückgängig machen ließen – und schon gar nicht, dass sie etwas mit ihm zu tun hatten.
Entscheidungen, die sie traf, als sie noch ein Kind war, Entscheidungen, mit denen sie ihr halbes Leben gelebt hatte. Entscheidungen, die ihr gefallen hatten. Er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass sie Amys Tochter liebte (auf die gleiche Weise, wie sie
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