Bilder von dir: Roman (German Edition)
Amy liebte, sagte er sich), mit einer Intensität, die ihre ganze Existenz ausmachte, eine Liebe, die lähmte. So wie auch er, wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, Amy geliebt hatte: blind. Schließlich hatte Amy ihm in Los Angeles die ganze Welt bedeutet.
Amy war tot.
Arthurs zusammengeflickte Brust pochte wie bei Zahnschmerzen. Sein Mund schmeckte metallisch. Er kurbelte das Fenster herunter, und die kalte Nachtluft brannte. Jedes seiner Körperhaare stellte sich auf, seine Haut zog sich zusammen, ihm war, als müsse er sich erneut übergeben, weil er sich dem so nah fühlte, was Amy in dieser Welt zurückgelassen hatte. Er wollte ihr alles erzählen und hatte Angst davor, es tatsächlich zu tun.
Und es gab so viel – so viel zu erzählen. Allen. Er dachte an seinen Bruder David und an seine Schwägerin, an seinen Vater und seine Mutter. Er erinnerte sich an Max und Manny und machte sich klar, dass er höchstwahrscheinlich gefeuert worden war. Er versuchte sich an die letzten Worte zu erinnern, die er zu Amy gesagt hatte und sie zu ihm. Er konnte es nicht. Er versuchte sich seine Amy vorzustellen – eine Frau, die ein Baby, ihr Baby –, in einer Badewanne zurückließ. Er konnte die Amy, die Mona ihm beschrieb, nicht mit der Amy in Einklang bringen, die er jahrelang gekannt hatte, die ein wenig heftig, ein wenig verrückt war, aber die er so sehr liebte, dass ihm das nichts ausmachte. Bei der Late Show im Fernsehen schlief sie jedes Mal mit dem Kopf auf seiner Schulter ein. Sie verwahrte immer eine Dose Oliven im Kühlschrank, die sie dann als Snack mit den Fingern knabberte. Bei Depeche Mode drehte sie die Anlage voll auf und tanzte dazu in einem T-Shirt und einer seiner Boxershorts. Sie war warm, wenn sie Seite an Seite lagen, ihr Rücken bedeckt von der kühleren, grünen Wolldecke, die an den Beinen kratzte, wenn sie auf dem Rasen des Hollywood Forever Cemeterys lagen, wo in heißen Sommernächten Filme gezeigt wurden, mit einem Mausoleum als Projektionsfläche. Erst im letzten Sommer waren sie dort gewesen und hatten sich Rosemary’s Baby angeschaut – hatten verfolgt, wie Ruth Gordon Mia Farrow mit Freundlichkeit und ein wenig Taniswurzel umbrachte – und jetzt lag Amy …
Amys Leiche.
Arthurs Hände auf dem Lenkrad wurden taub. Was hatte er verfügt, was sollte mit Amys Leiche geschehen? Er erinnerte sich, dass man ihm diese Frage gestellt, er aber keine Antwort gewusst hatte. Was hatte er geantwortet?
Plötzlich tauchte vor ihm das Bild seines Mobiltelefons in seiner Hand auf und in der Mitte des kleinen blauen Displays das Bild eines Umschlags. Blinkend. Zehn verpasste Anrufe. Eine Nachricht von Ray (Stantz), die mehr oder weniger lautete: Es hat einen Unfall gegeben, Arthur, wo bist du? Ruf mich an. Ruf mich sofort an . Und wo war sein Mobiltelefon jetzt? Was hatte er damit gemacht? Er hatte es seit Tagen, seit Wochen nicht gesehen und seine Abwesenheit bis zu diesem Augenblick gar nicht bemerkt. Wie viele Nachrichten mochten da jetzt wohl drauf sein?
Er atmete langsam aus. Wieso verdammt noch mal hatte er sich das angetan? – Das stimmte nicht ganz: Amy tat ihm das an. Der Unfall tat ihm das an. Sein ganzes Leben war eingefangen im Bild eines einzigen Unfalls. – Nein. Von zwei Unfällen. Denn er war sich sicher, dass Oneidas Zeugung ein Unfall war – nicht ihre Geburt, aber was Mona ihm über Amy und den Mieter erzählte, war zu simpel, um es zu leugnen. Eine ausgesprochen unpassende Beziehung, ein dummes Risiko: ein Unfall. Aber welcher Unfall war es dann, der Arthurs Leben bestimmte, der Unfall, der Amy nach Los Angeles brachte, oder der, der ihn zurück in ihre Vergangenheit schickte?
Das Ergebnis des ersten Unfalls wandte sich vom Armaturenbrett ab und drückte ihre Stirn an die Scheibe der Beifahrerseite. Sie atmete unbekümmert und zufrieden. Arthur entsetzte die Vorstellung, dass Oneidas Leben in einem Bett aus kaltem weißem Porzellan und durch die Hand ihrer Mutter begonnen hatte. Dass Amy dies getan hatte, konnte er kaum akzeptieren – seine Amy hätte das nämlich nicht getan –, aber auch wenn er das akzeptierte, änderte es nichts an der Tatsache, dass er sie geliebt hatte. Dass er sie noch immer liebte. Und dass er auch Mona liebte – dafür, dass sie die Teile von Amy behalten hatte, die diese nicht haben wollte, die aber trotzdem zu ihr gehörten: dafür, dass sie sie behalten und geliebt und sie hatte groß werden lassen, bis sie groß genug waren,
Weitere Kostenlose Bücher