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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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wir uns nämlich so gediegen benehmen, wie
     man es von Gästen eines Grandhotels erwartet.«
    Er ergriff Mathildes Hand und zog sie fort. »Ich wüsste etwas, das viel unterhaltsamer wäre   …, wenn Sie nichts dagegen haben, ein bisschen übermütig zu sein.«
    Natürlich hatte sie nichts dagegen. Sie war neugierig, sie wollte etwas wagen, das die Familie ihr noch nicht zugestand, und
     sie bewunderte in diesem Augenblick sich selbst dafür, dass ein Mann, der so viel Erfahrung hatte, sich für sie interessierte.
    »Und was wäre das?«, fragte sie gespannt und entzog ihm gleichzeitig ihre Hand.
    »Ich habe bei Hanselmann und dem Traiteur ein wunderbares Picknick besorgt und alles auf das Schloss Veraguth gebracht. Es
     wird dort ebenso gut schmecken wie bei Monsieur Badrutt im Kulm. Sogar Champagner habe ich besorgt   …«
    Mathilde erschrak. Das war zu gewagt, einfach viel zu gewagt. Er wohnte doch in der Pension Veraguth. Das war kompromittierender
     als alles, was sie sich ausgemalt hatte. Sie blieb stehen und schüttelte den Kopf.
    »Aber es wird nichts geschehen, was Sie nicht wollen!«, rief James. »Was meinen Sie denn, was ich Ihnen antun könnte? Oder
     sollte ich mir über Ihre Gedanken Gedanken machen? Wenn ich empfindlich wäre, könnte ich jetzt geradezu gekränkt sein.«
    Er strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Mathilde schüttelte den Kopf.
    »Nein, nein. Aber Sie wissen genau, dass Sie mir etwas Unanständiges vorschlagen.«
    Und doch: Die Aussicht auf ein Mittagessen im Kulm hatte seinen Glanz und jeden Kitzel verloren. Er hatte recht, das war eine
     langweilige Idee, obwohl sie ihr so tollkühn erschienen war. Sie sah James zweifelnd an und sagte gar nichts mehr.
    »Dort kommt die Straßenbahn!«, rief James. »Sind Sie schon einmal mit der elektrischen Straßenbahn ins Dorf hinaufgefahren?«
    Mathilde schüttelte den Kopf.
    »Nein? Sie haben diese gerade erst eröffnete Tramlinie, auf die ganz St. Moritz stolz ist, bisher kalt links liegen lassen?
     Dann kommen Sie! Wir fahren jetzt mit der Tram ins Dorf hinauf, und dann entscheiden Sie, ob Sie ins Kulm oder mit mir auf
     mein Schloss kommen wollen. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Sie müssen mir nur versprechen, dass sie nicht von der
     fahrenden Tram springen, wenn Ihnen mulmig wird. Dann greifen Sie lieber einfach nach meiner Hand – versprochen?«
    Sein Lachen war ansteckend. Es schien zu besagen, dass er den Gedanken, dass Mathilde ängstlich sein könnte, lächerlich fand.
    Der Trambahnführer klingelte auf seinem offenen Führerstand.
    »Also gut«, entgegnete sie.
     
    James hatte Mathildes Hand genommen und hielt sie fest, ihr Widerstand war gering gewesen, nicht mehr als ein leichtes Zucken,
     und schon hatte sich die Hand ergeben und lag weich in seiner.
    »Gleich sind wir da«, sagte James. »Der Postplatz ist die Endstation. Und jetzt gibt es kein Entrinnen mehr: Sie müssen eine
     Entscheidung treffen.«
    Er beugte sich mit seinem jungenhaften Lächeln zu ihr herüber, sein glattes Haar berührte fast ihre Wange, als seien sie daran,
     eine Verschwörung auszuhecken. Noch nie war etwas so aufregend gewesen in ihrem kleinen, behüteten Leben.
    »Gleich am Postplatz liegt die Hotelpension Veraguth, mein ›Schloss‹   … Nein, nein, Sie werden sehen«, setzte er beruhigend hinzu, »ich habe mich nur aufgespielt. Es ist ein braves, bürgerliches
     Haus, das Ihnen keine Angst machen wird. Das Engadiner Kulm«, er zeigte nach rechts, »liegt weiter dort drüben. Ein Spaziergang
     von einigen Minuten   …«, er seufzte, »damit verlieren wir natürlich kostbare Zeit! Ewig können wir die arme Kate nicht versetzen. Aber es liegt
     ganz bei Ihnen   …«
    Die Hand, die er in seiner hielt, glühte. Dabei war es gar nicht so warm, immer wieder schoben sich Wolken vor die Sonne und
     brachten für Momente kühlenden schieferblauen Schatten.
    Mathilde antwortete nicht. Das war es ja, dass alles in ihrer Hand lag!
    Seine Hand war fest und selbstsicher, der Duft seines Rasierwassers versetzte sie in größte Verwirrung, seine Brust, sein
     Kinn waren zum Berühren nah. Und sie trug diese dummen Handschuhe aus weißem, gehäkeltem Garn, durch die er ihre heiße Hand
     spüren musste.
    Ich bin verlobt, sagte sie sich immer wieder, aber Adrian war unendlich weit weg, in der völligen Versenkung war erverschwunden, so treulos machten sie der Duft des Weltläufigen, der von James ausging, die Strähne, die ihm über die

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