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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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     Auch er hofft darauf, dass Sie gesund werden und bald nach Hause kommen. Werden Sie ihn heiraten?«
    Mathilde richtete sich kerzengerade auf.
    Edward ließ sich nun nicht mehr beirren. »Ich würde dasnicht anzweifeln, natürlich nicht, wenn ich nicht wüsste, dass Sie sich in James verliebt haben.«
    Mathilde setzte ein abweisendes Gesicht auf. »Das ist vorbei.«
    »Dann gibt es keine Unsicherheit mehr? Keine Entscheidung? Weil Sie ganz sicher sind, zum Richtigen zurückgefunden zu haben?«
    Mathilde schwieg. Sie sah aus dem Fenster, aber da sah man nichts. Alles Wolken und Nebel. »Seine Familie will mich nicht
     mehr. Ich bin keine Garantin für den Fortbestand der Familie Zoller. Jetzt nicht mehr.«
    »Aber Ihr Verlobter   …«
    »Steht zu mir. Ja. Adrian will mich heiraten. Auch gegen den Willen seiner Eltern.«
    »Aber das ist ja schön«, sagte Edward unglücklich. Er dachte an Emily, die er erfolglos geliebt hatte, und daran, dass es
     immer andere Männer gab, die charmanter, witziger, draufgängerischer waren als er. Es war Zeit zu gehen. Er erhob sich und
     griff nach seiner Mütze.
    »Aber Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was die harten Zeiten sind, auf die Sie sich einrichten!«, sagte Mathilde und
     zog ihn auf seinen Stuhl zurück. »Und vor allem, warum Sie mich nach Adrian und der Verlobung fragen.«
    »Richtig«, sagte Edward und setzte sich wieder. »Aber ich weiß nicht, ob es noch Sinn macht, darüber zu sprechen.«
    »Aber worüber denn? Nun sagen Sie doch schon, was Sie sagen wollen! Und schauen Sie mich gefälligst an dabei   …«
    Sie lächelte, weil sie plötzlich das Bild wieder vor sich sah, das sie vorhin für eine Sekunde in einen Londoner Salon entführt
     hatte. Edward würde sie nicht entführen. Nicht auf das »Schloss Veraguth« und auch nicht nach London. Ein Raubritter war er
     nicht. Aber sie fühlte sich unendlich vertraut mit ihm. Ja, das war es. Eine tiefe Vertrautheit.
    Sie sah Edward an, und er hätte sich viel vormachen und einreden müssen, um diesen Blick nicht als zärtlich und aufmunternd
     zu empfinden. Und obwohl er eine große Fertigkeit darin besaß, Dinge, die sich entwickeln wollten, im Keim zu ersticken, warf
     er seine Vorsicht für einmal über Bord.
    »Ich war ein schlechter Stellvertreter für James.«
    »Ah, ja?«
    »Ich hätte ihn am liebsten umgebracht   …«
    »Wirklich?«
    »Ich habe gesehen, was er mit Ihnen gemacht hat.«
    »Das hoffe ich nicht«, sagte Mathilde mit Nachdruck.
    »Es ist auch gleich«, antwortete Edward. »Könnten Sie sich vorstellen   …« Er war plötzlich schrecklich müde. »Sich für mich zu entscheiden   …?«
    »Und alles ohne Blumen?«, fragte Mathilde.
    »Werden nachgeliefert«, erwiderte er mit einem schiefen Lächeln. Er fühlte sich, als ob er seit Tagen nichts mehr gegessen
     hätte. »Feuerlilien gibt es jetzt allerdings nicht mehr«, sagte er dann.
    »Wir werden sehen, ob es auch mit Rosen geht«, antwortete Mathilde.
     
    Dr.   Bernhard hatte recht gehabt. Die feinen grünen Nadeln der Lärchen begannen sich jetzt zu verfärben. Edward machte lange Spaziergänge
     mit Mathilde. In einer Landschaft aus Fels, glitzernden Wellen, Wolken und Licht.
    »Das Auge ist so voll von Licht, dass man gar nichts mehr sehen kann«, sagte Edward und fasste Mathilde zärtlich am Arm. Sie
     blieben stehen, und Mathilde schloss nun wirklich die Augen. Sie spürte den Schatten, der über ihre Wangen fiel, und die Wärme
     seines Gesichts, das näherkam. Haben Sie schon einmal einen Mann geküsst?, hatte James gefragt, und sie hatte gelogen. Edward
     musste man nicht belügen.
    »Mein Gott«, sagte sie und holte Luft. »Du steckst voller Überraschungen!«
    Nein, sie schüttelte den Kopf, sie konnte ihm unmöglich sagen, was sie damit meinte. Wieso hatte sie angenommen, dass er sanft
     und vorsichtig küssen würde? Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn an. James war sportlich, wendig, charmant, erfahren.
     Edward war groß, ruhig und einfühlsam. Wie hatte sie übersehen können, dass er männlich und leidenschaftlich war? Sie zog
     ihn an der Hand wieder zu sich heran.
    »Ich bin jedenfalls froh, dass diese Seite von dir nicht jedem sofort ins Auge springt!« Sie küsste ihn auf den Mund.
    »Wieso?«, fragte er. »Was hast du denn entdeckt?«
    »Ich entdecke dich. Und ich entdecke jeden Tag etwas Neues. Man muss Geduld haben mit dir. Man entdeckt dich erst mit der
     Zeit. Gott sei Dank

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