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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Sonne schob, verlöschte
     der Feuerton ihres Haares, und es blieb nur ein trauriges Gesicht zurück. Dass sie behauptet hatte, ihn nicht zu vermissen,
     beschäftigte ihn. Hätte sie zugegeben, dass es anders war, dann hätte er nicht weiter an sie denken müssen. Und das wäre angenehmer
     gewesen.
    ***
    »Du musst aufpassen«, hatte Adrian noch sagen wollen, »sie können beißen.« Aber da hatte Mathilde schon den Finger in den
     Käfig gesteckt und im gleichen Moment aufgeschrien. Erschrocken hüpfte das Eichhörnchen an seiner Kette hin und her, der rote,
     buschige Schwanz schlug wild gegen das Gitter, und die Tränen, die Mathilde in die Augen stiegen, rührten nicht nur vom Schreck
     und dem Schmerz, den die kleine, aber tiefe Wunde erzeugte, sondern auch von dem Mitleid, das sie für das gefangene Tier empfand.
     Es war ein unglückliches Geschenk, das Adrian ihr da mitgebracht hatte, sie wusste nicht, wie sie sich dafür bedanken sollte,
     und überhaupt musste sie ihm etwas Unangenehmes sagen.
    »Du kannst es vor dem Fenster anketten«, hatte Adrian gesagt, als er sie begrüßte und ihr den Käfig überreichte.
    »Aber ich kette kein Tier an, das im Wald herumspringen will!«, hatte sie ausgerufen und dabei unbedacht den Finger zwischen
     die Stäbe gehalten.
    »Ich dachte, ein Tier könnte dir ein bisschen die Langeweile vertreiben«, meinte er entschuldigend, während sie versuchte,
     das Blut zu stillen, das aus der Wunde quoll. Sie sagte nichts darauf, ein zähes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus,
     das er nicht verstand.
    »Adrian«, sagte sie endlich. »Ich werde dich nicht heiraten.« Sie sah seinem Gesicht an, dass er den Satz nicht begriffen
     hatte. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll   … Mein Leben hat sich verändert, seit ich hier oben bin. Ich bin nicht mehr die Mathilde, die du kennst und in die du dich
     verliebt hast.«
    »Aber man sieht dir die Krankheit nicht an.«
    »Ich meine nicht die äußeren Dinge«, sagte sie, »in meinem Inneren hat sich vieles verändert. Was ich denke, wie ich fühle,
     was ich mir wünsche   …« Es war zwecklos, er konnte sie nicht verstehen. Er war ja da, wie immer, nicht anders als voreinem Jahr, und wartete nur darauf, sie heimzuholen und zu heiraten, ganz gleich, was seine Eltern darüber dachten. Warum
     genügte das jetzt nicht mehr, was wollte sie denn noch?
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte Adrian, und sie war dankbar, dass er sie nicht mit Fragen bestürmte.
    »Das kann auch keiner verstehen«, erwiderte sie. »Ich verstehe es ja selbst nicht.«
    »Aber das sind doch nur Launen«, versuchte er es noch einmal, »Gefühle   …«
    »Ja. Es sind nur Gefühle. Und ich werde ihnen folgen.«
    »Aber so einfach ist das nicht, Mathilde. Man kann eine Verlobung nicht einfach so mit drei Sätzen lösen. Da sind alle unsere
     Pläne, deine Eltern, eine Zukunft, die wir doch schon vorbereitet haben«, sagte Adrian hilflos.
    »O doch, so einfach ist es, ganz gleich, wie viele Worte wir machen.«
    Es hatte keinen Sinn, sie jetzt umstimmen zu wollen. Aber er würde zurückkommen, und er würde Mathildes Vater bitten, ihn
     zu begleiten.
    ***
    Voller Unruhe ging Segantini hin und her. Er suchte eines seiner Bilder. Wo war das Ölbild, das er vor ein, zwei Jahren ziemlich
     rasch hingeworfen hatte, ein Vorläufer zu der »Liebe an der Quelle des Lebens«? Das Ölbild war nicht groß, nur knapp einen
     halben auf einen halben Meter, und er hatte es nie ausgestellt. Es zeigte einen weiblichen Akt, ein seltenes Sujet bei ihm.
    Er fand das Bild schließlich bei seinen Kindern. Ach ja, er hatte es ihnen aus lauter Unzufriedenheit zum Spielen überlassen,
     und die Jungen hatten es als Zielscheibe für ihr Luftgewehr benutzt. Der Karton lag, achtlos hingeworfen,im Garten, an mehreren Stellen verletzt von den gefiederten Pfeilspitzen der Projektile.
    Segantini hob das Bild auf, wischte es sorgfältig ab und betrachtete es.
    Die Grundfarben waren Blau und Grün, mit schönen Türkistönen darin, als hätte er dabei schon an Nikas Augen gedacht. Im Hintergrund,
     mehr ideale Landschaft als getreues Abbild der Natur, die Berge und der blau leuchtende See, näher zum Betrachter hin zwei
     Baumstämme, die sich aneinanderschmiegen und deren Krone aus dem Bild herauswächst. Den Vordergrund bildet ein sanfter Hügel.
     Er ist rund und weich und wird gespalten in zwei üppige, abgerundete Hälften durch eine Quelle, die in der Tiefe des Hügels
    

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