Billard Um Halb Zehn: Roman
und den Honig; Sie wissen nicht, daß jeder sterbende oder resignierende Abt seinem Nachfolger eine Botschaft hinterläßt: Familie Fähmel nicht vergessen; Sie gehören ja wirklich zu unserer Klosterfamilie - ach, da sind ja die jungen Damen schon; natürlich, hier sind sie wieder zugelassen.«
Brot und Butter, Wein und Honig auf schlichten hölzernen Tischplatten; Joseph hatte den einen Arm um seine Schwester, den anderen um Marianne gelegt; Blond zwischen zwei schwarzen Mädchenköpfen.
»Sie werden uns doch die Ehre antun, zur Einweihung zu kommen? Kanzler und Kabinett haben ihr Erscheinen zugesagt, einige ausländische Fürstlichkeiten werden dasein, und es wäre uns eine große Freude, die ganze Familie Fähmel hier als unsere Gäste zu begrüßen; meine Festansprache wird nicht im Zeichen der Anklage stehen, sondern im Zeichen der Versöhnung, Versöhnung auch mit jenen Kräften, die in blindem Eifer unsere Heimstatt zerstört haben, keine Versöhnung allerdings mit jenen zerstörerischen Kräften, die unsere Kultur aufs neue bedrohen; darf ich also hier die Einladung aussprechen und die herzliche
Bitte, daß Sie uns die Ehre erweisen?«
›Ich werde nicht zur Einweihung kommen‹, dachte Robert,
›weil ich nicht versöhnt bin, nicht versöhnt mit den Kräften, die Ferdis Tod verschuldeten, und nicht mit denen, die Ediths Tod
verschuldeten und Sankt Severin schonten; ich bin nicht versöhnt, nicht versöhnt mit mir und nicht mit dem Geist der Versöhnung, den Sie bei Ihrer Festansprache verkünden werden; es war nicht blinder Eifer, der Ihre Heimstatt zerstörte, sondern Haß, der nicht blind war und dem noch keine Reue erwachsen ist. Soll ich bekennen, daß ich es gewesen bin? Ich muß meinem Vater Schmerz zufügen, obwohl er nicht schuldig ist, und vielleicht meinem Sohn, obwohl auch er nicht schuldig ist, und Ihnen, Ehrwürdiger Vater, obwohl auch Sie nicht schuldig sind; wer ist schon schuldig? Ich bin nicht versöhnt mit der Welt, in der eine Handbewegung und ein mißverstandenes Wort das Leben kostet.‹ Und er sagte: »Herzlichen Dank, Ehrwürdiger Vater, es wird mir eine Freude sein, an Ihrem Fest teilzunehmen.«
›Ich werde nicht kommen, Ehrwürdiger Vater‹, dachte der Alte, ›denn ich würde hier stehen nur als ein Denkmal meiner selbst, nicht als der, der ich bin: ein alter Mann, der seiner Sekretärin heute morgen den Auftrag gab, sein Denkmal zu bespucken; erschrecken Sie nicht, Ehrwürdiger Vater; ich bin nicht versöhnt mit meinem Sohn Otto, der nicht mehr mein Sohn war, sondern nur die Hülle meines Sohnes; und mit Gebäuden, auch wenn ich sie selbst erbaute, kann ich keine Versöhnung feiern. Man wird uns bei den Feierlichkeiten nicht vermissen; Kanzler, Kabinett, ausländische Fürstlichkeiten und hohe kirchliche Würdenträger werden gewiß die Lücke würdig ausfüllen. Bist du es gewesen, Robert, und hast dich gefürchtet, es mir zu sagen? Dein Blick, deine Bewegungen beim Rundgang haben es mir verraten; nun: es trifft mich nicht - vielleicht hast du dabei an den Jungen gedacht, dessen Namen ich nie erfuhr: der deine Zettelchen in unseren Briefkasten warf
und an den Kellner, der Groll hieß, an die Lämmer, die
niemand geweidet hat, auch wir nicht; feiern wir also nicht Versöhnung: sorry, Ehrwürdiger Vater, Sie werden es ertragen, Sie werden uns nicht vermissen; lassen Sie eine Tafel aufhängen: ,Erbaut von Heinrich Fähmel im Jahre 1908, in seinem neunundzwanzigsten Lebensjahr, zerstört von Robert Fähmel, im Jahre 1945, in seinem neunundzwanzigsten Jahr' - was wirst du tun, Joseph, wenn du dreißig bist? Wirst du deines Vaters Büro für statische Berechnungen übernehmen: bauen oder zerstören? Formeln sind wirksamer als Mörtel.
Stärken Sie Ihr Herz mit Choral, Ehrwürdiger Vater, überlegen Sie sich gut, ob Sie wirklich mit dem Geist, der das Kloster zerstörte, versöhnt sind.‹
»Herzlichen Dank, Ehrwürdiger Vater, es wird uns eine Freude sein, an Ihrem Fest teilzunehmen«, sagte der Alte.
Kühle stieg schon aus Wiesen und Niederungen, trockene Rübenblätter wurden feucht, dunkel, versprachen Reichtum; links vor dem Steuer Josephs blonder Kopf, rechts die beiden schwarzen Mädchenköpfe; leise glitt das Auto auf die Stadt zu; sang dort jemand: ›Wir haben das Korn geschnitten‹? Es konnte nicht wahr sein, so wenig wie der schlanke Turm von Sankt Severin am Horizont; Marianne sprach als erste wieder: »Du fährst nicht über Dodringen?« »Nein, Großvater
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