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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Männer beim Spiel zusahen, wenn er dastand, im Zigarrenrauch, das Bierglas neben sich auf dem Bord, und Billard spielte,
    Billard; duzten sie ihn wirklich, oder war es nur eine Eigenart der holländischen Sprache, daß es wie Du klang, wenn sie ihn anredeten; sie kannten seinen Vornamen: Robert, rollten das R von Robert, wie ein hartes Bonbon im Gaumen. Still. Soviel Glas an den Grachten. Ruth heiße ich, Halbwaise bin ich, meine Mutter war vierundzwanzig, als sie starb; ich war drei, und wenn ich an sie denke, denke ich siebzehn oder zweitausend Jahre, vierundzwanzig ist eine Zahl, die nicht zu ihr paßt; irgend etwas unter achtzehn oder über achtzig; mir kam sie immer vor wie Großmutters Schwester; ich kenne das große, wohlbehütete Geheimnis, daß Großmutter verrückt ist, und ich will sie nicht sehen, solange sie verrückt ist; Ihre Verrücktheit ist Lüge, Trauer hinter dicken Mauern, ich kenne das, betrinke mich auch oft daran und schwimme in Lüge dahin: Hinterhaus, Modestgasse 8, von Gespenstern bewohnt. Kabale und Liebe, Großvater ha t das Kloster gebaut, Vater hat es gesprengt, Joseph hat's neu errichtet. Meinetwegen; ihr werdet enttäuscht sein, wie wenig mich das erschüttert; ich habe gesehen, wie sie die Toten aus den Kellern holten, und Joseph versuchte, mir einzureden, sie wären krank und würden nur ins Krankenhaus gebracht, aber warf man Kranke so wie Säcke einfach auf den Lastwagen? Und ich habe gesehen, wie der Lehrer Krott heimlich in der Pause in die Klasse ging und Konrad Gretz das Butterbrot aus dem Ranzen stahl, ich habe Krotts Gesicht gesehen und litt Todesängste, und betete zu Gott: ›Bitte, laß nicht zu, daß er mich hier entdeckt, bitte, bitte‹, denn ich wußte, er würde mich ermorden, wenn er mich entdeckte; ich stand hinter der Tafel, suchte meine Haarspange, und er hätte meine Beine sehen können, aber Gott hatte Erbarmen mit mir: Krott entdeckte mich nicht; ich sah sein Gesicht und sah noch, wie er ins Brot biß, dann hinausging; wer in solche Gesichter gesehen hat, den regen gesprengte Abteien nicht mehr auf; und das Theater nachher, als Konrad Gretz den Verlust entdeckte und Krott uns alle zur Aufrichtigkeit ermahnte: ›Kinder, seid doch ehrlich, ich gebe
    euch eine Viertelstunde Zeit; dann muß sich der Schuldige gemeldet haben, sonst‹ - noch acht Minuten, noch sieben Minuten, sechs -, und ich sah ihn an, er fing meinen Blick auf, stürzte auf mich zu: ›Ruth, Ruth‹, schrie er, ›du? Bist du es gewesen?‹ Ich schüttelte den Kopf, fing an zu weinen, denn ich litt wieder Todesangst - und er sagte: ›Mein Gott, Ruth, sei ehrlich.‹ Ich hätte gern ja gesagt, aber dann hätte er gemerkt, daß ich wußte; und ich schüttelte den Kopf unter Tränen; noch vier Minuten, drei, zwei, eine, aus; ›Ihr verdammte Diebesbande, ihr Lügenbande, jetzt schreibt ihr zur Strafe zweihundertmal: ,Ich darf nicht stehlen!’‹ Ihr mit euren Abteien; ich habe schrecklichere Geheimnisse hüten müssen, habe Todesangst ausgestanden; wie Säcke warfen sie sie auf den Wagen.
    Warum mußten sie den netten Abt so kühl behandeln? Was hat er getan, hat er jemand umgebracht, hat er jemand ein Butterbrot gestohlen? Konrad Gretz hatte genug zu essen, Leberpastete und Kräuterbutter auf Weißbrot; welcher Teufel wohnte plötzlich im Gesicht des milden, vernünftigen Lehrers? Mord hockte zwischen Nase und Augen, Nase und Mund, zwischen den Ohren; wie Säcke warfen sie die Leichen auf den Lastwagen, und ich hatte Spaß, wenn Vater den Bürgermeister vor der großen Wandkarte verhöhnte, wenn er seine schwarzen Zeichen malte und sagte: ›Weg damit, sprengen‹; ich liebe ihn, liebe ihn nicht weniger, jetzt, wo ich's weiß; hat Joseph wenigstens seine Zigaretten im Auto gelassen; ich hab doch gesehen, wie der Mann seinen Trauring für zwei Zigaretten hergab - wieviel hätte er für seine Tochter haben wollen, wieviel für seine Frau? In seinem Gesicht die Preistafel: zehn, zwanzig, er hätte mit sich reden lassen; sie lassen alle mit sich reden; tut mir leid, Vater, aber der Honig und das Brot und die Butter schmeckten mir auch noch, nachdem ich wußte, wer das getan hatte. Wir wollen weiter Vater und Tochter spielen; genau abgezirkelt, wie ein Turniertanz; nach dem Imbiß wäre
    eigentlich der Spaziergang auf den Kosakenhügel hinauf fällig gewesen: Joseph mit Marianne und mir vorneweg, Großvater hinterher, wie jeden Samstag.
    ›Kommst du mit, Großvater?‹
    ›Danke, es geht

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