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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Engländer doch am besten - Federball spielten, während seine hübsche Frau, gepflegt, gepflegt, sehr gepflegt, ihm, der im hübschen Liegestuhl lag, von der Terrasse aus zurief: ›Magst du 'ne Spur Gin in die Zitronenlimonade?‹ und er zurückrief: ›Ja, aber 'ne deutliche Spur!‹; und seine Frau, Kichern im Hals, von soviel
    Witz entzückt, tat ihm 'ne deutliche Spur Gin in die Limonade,
    ging nach draußen, setzte sich neben ihn, in den zweiten Liegestuhl, der so hübsch war wie der erste, begutachtete die Bewegungen ihrer ältesten Tochter; vielleicht ein ganz klein bißchen zu mager, ein bißchen zu knochig, und das hübsche Gesicht ein bißchen zu ernsthaft; jetzt legte sie erschöpft den Schläger aus der Hand, setzte sich zu Vatis, zu Muttis Füßen an den Rasenrand - ›aber, Liebes, erkälte dich nur nicht‹ - und fragte, ach, immer so ernsthaft: ›Vati, wie ist das nun, was ist das genau: Demokratie?‹, und das war für Vati der rechte Augenblick, feierlich zu werden, er setzte sein Limonadenglas ab, nahm die Zigarre aus dem Mund - das ist schon die fünfte heute, Ernst-Rudolf - und erklärte es ihr: Demokratie...‹ Nein, nein, ich werde dich weder privat noch amtlich bitten, meine Rechtslage zu klären; ich nehme nichts dafür, ich habe den kindlichen Schwur im Cafe Zons geschworen, geschworen, den Adel der Wehrlosigkeit zu hüten; meine Rechtslage bleibt ungeklärt; vielleicht hat auch Robert sie geklärt, mit Dynamit; ob er inzwischen das Lachen ge lernt hat, oder wenigstens das Lächeln? Er war immer ernst, kam nicht über Ferdis Tod hinweg, ließ seine Rachegedanken zu Formeln gefrieren, als sehr leichtes Gepäck trug er sie im Hirn, genaue Formeln, trug sie durch Feldwebel- und Offiziersquartiere, sechs Jahre lang, ohne zu lachen, wo Ferdi doch noch, als sie ihn verhafteten, gelächelt hatte, der Engel aus der Vorstadt, aus dem Mistbeet der Gruffelstraße; nur die drei Quadratzentimeter Daumenhaut hatten Erinnerung vollzogen; angesengte Turnlehrerfüße und das letzte Lamm von einem Bombensplitter getötet; Vater ward nicht mehr gesehen, nicht einmal auf der Flucht erschossen. Und niemals eine Spur gefunden von dem Ball, den Robert schlug.
    Schrella warf den Zigarettenstummel in den Abgrund, stand auf, schlenderte langsam zurück, zwängte sich zwischen TOD und gekreuztem Gebein wieder hindurch, nickte dem aufgescheuchten Nachtwächter zu, warf noch einen Blick zurück aufs Cafe Bellevue, ging die saubere leere Autobahn
    hinunter auf den Horizont zu, wo Rübenlaub im Sommerlicht flimmerte; irgendwo mußte diese Straße die Linie Sechzehn kreuzen. Umsteigen zum Bahnhof, fünfundvierzig Pfennig; er sehnte sich nach einem Hotelzimmer, er liebte das Zufällige solchen Zu-Hause-Seins, die Anonymität dieser schäbigen Zimmer, die auswechselbar waren; Eisblumen der Erinnerung tauten in diesen Zimmern nicht auf; staatenlos, heimatlos, und am Morgen ein liebloses Frühstück von einem verschlafenen Kellner serviert, dessen Manschetten nicht ganz sauber waren, dessen Hemdbrust nicht mit Inbrunst, wie Mutter es getan hatte, gestärkt worden war; vielleicht konnte man eine Frage riskieren, falls der Kellner über sechzig war? ›Haben Sie einen Kollegen gekannt, der Schrella hieß?‹
    Weiter in die leere saubere Straße hinein, in den Himmel aus flimmerndem Rübenlaub, als Gepäck nur die Hände in den Taschen, und das Kleingeld an den Weg gestreut, für Hansel und Gretel. Postkarten waren der einzig erträgliche Kontakt mit dem Leben, das nach Ediths, nach Vaters, Ferdis Tod weiterging. ›Mir geht es gut, lieber Robert: ich hoffe von dir das gleiche; grüße meine mir unbekannte Nichte, meinen Neffen und deinen Vater‹, zweiundzwanzig Worte, zuviel Worte; zusammenstreichen den Text: ›Mir geht's gut, hoffe, dir auch, grüße Ruth, Joseph, deinen Vater; elf Worte; mit der Hälfte ließ sich das gleiche sagen; wozu herreisen, Händedrücken, eine Woche lang nicht: ich binde, ich band, ich habe gebunden konjugieren; Nettlinger unverändert finden, die Gruffelstraße unverändert; Frau Trischlers Hände fehlten.
    Himmel aus Rübenlaub, wie mit grünsilbernem Gefieder bewachsen; unten schaukelte die Sechzehn durch eine Unterführung. Fünfundvierzig Pfennig; alles ist teurer geworden. Gewiß war Nettlinger mit seiner Erläuterung der Demokratie noch nicht zu Ende; Spätnachmittags licht; seine Stimme wurde weich; und seine Tochter holte aus dem
    Wohnzimmer die Couchdecke - jugoslawisch, dänisch

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