Billard Um Halb Zehn: Roman
gleich, was ein Kavalier ist; nein, bitte hier herum, zum Gewächshaus, ich will Ihnen mal was zeigen, was zu Ihrem Handwerk gehört, und bitte, keine unangebrachten Galanterien, keine Tanzstundenkomplexe an mir auslassen, bitte; ich bin siebzig, Sie dreiundsiebzig, keine Handküsse, keine Greisenpoussagen; lassen Sie doch den Unsinn; hör mir mal zu: siehst du, was da hinter der hellgrünen Glasscheibe zu sehen ist? Ja, das sind Waffen, das ist unseres guten Obergärtners Arsenal: damit werden Hasen und Rebhü hner, Krähen und Rehe geschossen, denn unser Obergärtner ist ein leidenschaftlicher Jäger, und da zwischen den Gewehren liegt so ein hübscher, handlicher schwarzer Gegenstand, eine Pistole; nun pack mal aus, was du als Fähnrich oder als Leutnant gelernt hast, und sag mir: ist so ein Ding wirklich lebensgefährlich, kann man damit jemanden umbringen? Nun werd mir nicht blaß, alter Haudegen, hast zentnerweise vom Sakrament des Büffels gegessen und wirst mir hier schwach, wenn ich dir ein paar einfache Fragen stelle; fang doch nicht an zu zittern, ich bin zwar ein bißchen verrückt, aber ich werde dir nicht die Pistole auf deine dreiundsiebzigjährige Brust drücken und dem Staat die Pension ersparen; ich denke gar nicht dran, dem Staat was zu ersparen; gib mir auf klare militärische Fragen eine militärische Antwort: Kann man mit dem Ding jemand umbringen? Ja? Gut. Auf wieviel Meter Entfernung hat man die größte Treffsicherheit? Zehn, zwölf, allerhöchstens fünfundzwanzig.
Mein Gott, nun regen Sie sich doch nicht auf! Wie bange so ein alter General sein kann; melden? Da gibt es nichts zu melden; euch haben sie das Melden wohl so eingetrichtert, daß ihr's nicht lassen könnt, was? Küssen Sie mir meinetwegen die Hand, aber halten Sie nur den Mund, und morgen früh wird ministriert, verstanden? So 'nen hübschen weißhaarigen gutgewachsenen Ministranten haben die hier noch nie gehabt; kannst du denn keinen Spaß verstehen? Ich interessiere mich nun mal für Waffen, so wie du dich für Schußfeld interessierst;
willst du denn nicht begreifen, daß es zu den ungeschriebenen Gesetzen dieses trauten Heimes hier gehört, daß jeder jedem sein Pläsierchen läßt; du hast eben deinen Schußfeld-Tick; Diskretion, Schußfeld, denk an deine gute Erziehung - vorwärts mit Hurra und Hindenburg; siehst du wohl, das gefällt dir, man muß nur die richtigen Worte wählen - hier geht es rum, an der Kapelle vorbei, willst du nicht eintreten und dir die Stätte deines künftigen Wirkens einmal anschauen?; friedlich, Alter, das weißt du also noch: Hut abnehmen, den rechten Finger ins Weihwasserbecken, jetzt ein Kreuzzeichen, so ist's brav; jetzt hinknien, aufs Ewige Licht blicken, ein Ave Maria und ein Vaterunser beten - schön still; es geht doch nichts über eine katholische Erziehung; aufstehen, Finger ins Weihwasserbecken, Kreuzzeichen, der Dame den Vortritt lassen, Hut aufsetzen; so ist's lieb, da sind wir wieder: Sommerabend, herrliche Bäume in herrlichem Park, eine Bank; vorwärts mit Hurra und Hindenburg, das gefällt dir, was? Wie gefällt dir das andere: muß haben ein Gewehr, muß haben ein Gewehr; das gefällt dir auch, wie? Laß doch die Scherze; nach Verdun war es eigentlich mit diesen Scherzen vorbei; da sind die letzten Kavaliere - gefallen, zu viele Kavaliere, zu viele Liebhaber auf einmal - zu viele junge guterzogene Leute; hast du dir einmal ausgerechnet, wieviel Pädagogenschweiß da innerhalb von ein paar Monaten verschwendet worden ist? Umsonst! Warum seid ihr nie auf die Idee gekommen, gleich nach der Gehilfenprüfung oder nach der Abiturientenprüfung ein Maschinengewehr auf dem Flur der Handwerks- oder Handelskammer, auf dem Flur des Gymnasiums aufzustellen und die jungen Männer mit dem strahlenden ›Bestanden‹ im Gesicht totzuschießen? Du findest das übertrieben? Nun, dann laß dir sagen, daß Wahrheit reine Übertreibung ist; ich hab mit der Abiturientia 1905, 1906, 1907 noch getanzt und Kommers gefeiert mit diesen Mützenträgern und Biertrinkern - aber von den drei Jahrgängen ist mehr als die Hälfte bei Verdun gefallen.
Was denkst du wohl, was von der Abiturientia 1935, 1936, 1937 übriggeblieben ist; oder 1941, 1942 - such dir einen Jahrgang aus; und fang doch nicht wieder an zu zittern, ich wußte ja gar nicht, wie bange so ein alter General sein kann. Laß das doch sein: Hände auf meine Hände legen - wie ich heiße? Merk dir: nach so was fragt man hier nicht, hier hat man
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