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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Engelsburg, vielleicht das Brandenburger Tor? - such dir die Kulisse aus; vielleicht auch die Brandung in Ostende oder der Turm von Sankt Severin, die Limonadenbude im Blessenfelder Park? Nein, es ist natürlich die Abtei Sankt Anton: du findest sie im Fotoalbum zu allen Jahreszeiten: nur die Mode, die wir tragen, wechselt: deine Mutter mit großem, mit kleinem Hut, mit kurzem, mit langem Haar, mit weitem, mit engem Rock, und ihre Kinder drei und fünf, fünf und sieben Jahre alt; dann taucht eine Fremde auf: blond, jung, trägt ein Kind auf dem Arm, hält das andere an der Hand; ein Jahr, drei Jahre sind die Kinder alt; weißt du, daß ich Edith geliebt habe, wie ich eine Tochter nicht hätte lieben können; ich konnte nie glauben, daß sie wirklich einen Vater, eine Mutter gehabt hat - einen Bruder. Sie war eine Botin des Königs; als sie bei uns lebte, konnte ich seinen Namen wieder denken, ohne zu erröten, konnte den Namen beten - welche Botschaft hat sie dir gebracht, dir übergeben? Rache für die Lämmer? Ich hoffe, du hast den Auftrag getreulich ausgeführt, keine falschen Rücksichten genommen, wie ich sie immer nahm, nicht in den Eisschränken der Ironie das Gefühl der Überlegenheit frisch erhalten, wie ich es immer tat. Hat sie diesen Bruder wirklich gehabt? Lebt er? Gibt es ihn?«
    Er zog Kreise mit seinem Bierglas, starrte auf die rot-weiß karierte Tischdecke, hob den Kopf nur ein wenig.
    »Sag doch: gibt es ihn wirklich? Er war doch dein Freund; ich habe ihn einmal gesehen; ich stand am Schlafzimmerfenster und sah ihn über den Hof auf dein Zimmer gehen; ich habe ihn nie vergessen, oft an ihn gedacht, obwohl ich ihn kaum zehn oder zwanzig Sekunden lang gesehen haben kann; ich hatte Angst vor ihm wie vor einem dunklen Engel. Gibt es ihn wirklich?«
    »Ja.«
    »Er lebt?«
    »Ja. Angst hast du vor ihm?«
    »Ja. Vor dir auch. Wußtest du es nicht? Ich will nicht wissen, welche Botschaft Edith dir gab; nur: hast du sie ausgeführt?«
    »Ja.«
    »Gut. Du bist erstaunt, daß ich Angst vor dir hatte - ein wenig noch habe. Ich lachte über eure kindlichen Konspirationen, aber das Lachen blieb mir im Halse stecken, als ich las, daß sie den Jungen getötet hatten; er hätte Ediths Bruder sein können, aber später wußte ich, daß es fa st noch human gewesen war, einen Jungen zu töten, der immerhin eine Bombe geworfen und die Füße eines Turnlehrers versengt hatte; der Junge, der deine Zettelchen in unseren Briefkasten warf, der Pole, der gegen den Turnlehrer seine Hand hob - ein unangebrachtes Wimperzucken, Haarwuchs und Nasenform genügten, und nicht einmal das brauchten sie mehr: nur den Geburtsschein des Vaters oder der Großmutter; ich hatte mich jahrelang von meinem Lachen ernährt, aber diese Nahrung fiel aus, kein Nachschub mehr, Robert, und ich öffnete den Eisschrank, ließ die Ironie sauer werden und schüttete sie weg wie einen ekligen Rest von etwas, das einmal wertvoll gewesen sein mochte; ich hatte geglaubt, deine Mutter zu lieben und zu verstehen - aber jetzt erst verstand ich sie und liebte sie, verstand auch euch und liebte euch; später erst begriff ich es ganz; ich war obenauf, als der Krieg zu Ende war, wurde Baubeauftragter für den ganzen Bezirk; Frieden, dachte ich, es ist vorbei, neues Leben - als sich eines Tages der englische Kommandant sozusagen bei mir entschuldigte, daß sie die Honoriuskirche bombardiert und die Kreuzigungsgruppe aus dem zwölften Jahrhundert zerstört hatten; er entschuldigte sich nicht wegen Edith, nur wegen einer Kreuzigungsgruppe aus dem zwölften Jahrhundert; sorry; ich lachte zum ersten Mal wieder seit zehn Jahren, aber es war kein gutes Lachen, Robert - und ich legte mein Amt nieder; Baubeauftragter? Wozu? wo ich
    Jahrhunderten darum gegeben hätte, Ediths Lächeln noch einmal zu sehen, ihre Hand auf meinem Arm zu spüren; was bedeuteten mir die Bilder des Königs gegen das wirkliche Lächeln seiner Botin? Und für den Jungen, der deine Zettelchen brachte - ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen, nie seinen Namen erfahren -
    , hätte ich Sankt Severin hergegeben und gewußt, daß es ein lächerlicher Preis gewesen wäre, wie wenn man einem Lebensretter eine Medaille gibt; hast du Ediths Lächeln je wieder gesehen, oder das Lächeln des Tischlerlehrlings? Nur einen Abglanz davon? Robert! Robert!«
    Er ließ das Bierglas los, legte die Arme auf den Tisch.
    »Hast du es je gesehen?« fragte er murmelnd unter seinen Armen heraus.
    »Ich habe es gesehen«,

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