Bille und Zottel 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick
vorwärts gegangen, Bille und Zottel standen da, wie ein Reiterstandbild.
„Na, was ist?“ fragte Herr Tiedjen amüsiert. „Wollt ihr nicht oder könnt ihr nicht? Leichter Schenkeldruck und die Zügel ein wenig freigeben.“
Zottel mußte das gehört haben, kaum lockerte Bille den Griff ein bißchen, riß er den Kopf nach oben, so daß ihr die Zügel wie gebutterte Spaghetti durch die Finger flutschten. Während Bille verwirrt die Zügel wieder aufnahm, stapfte Zottel mit weitausgreifenden Schritten an Lohengrin vorbei, offensichtlich voller Erwartungsfreude auf unbekannte Abenteuer.
In diesem Punkt allerdings wurde er enttäuscht. Er bekam zwar endlich einmal etwas anderes zu sehen als Zirkusarena und Jahrmarktrummel, er durfte durch die weiten Alleen und schattigen Wege des Willmsdorfer Parks marschieren, aber jeder Versuch, diesen Spaziergang auf seine Weise zu genießen, wurde ihm energisch verwehrt.
Ein paarmal gelang es ihm zwar, den Kopf freizubekommen und ein paar von den würzigen Gräsern am Wege auszurupfen, Augenblicke in denen Bille sich erschrocken vor einem gähnenden Abgrund statt hinter einem stattlichen Pferdehals sah. Aber meistens hieß es: anreiten — halten — Haltung korrigieren — wieder anreiten — langer Zügel — kurzer Zügel — versammeln — Kopf freilassen - langer Schritt — halten - wieder anreiten.
Zottel schien zu denken: wann wissen die denn nun endlich, was sie wollen! Ihn langweilte dieses Spiel, und er für seinen Teil wollte nicht mitspielen. Er war unkonzentriert und unaufmerksam.
„Du mußt mit ihm sprechen — nicht mit Worten, sondern mit den Schenkeln und mit dem Zügel. Nicht grob - stell dir vor, es bestünde zwischen euch eine Verbindung wie ein feiner elektrischer Strom, der von dir zu ihm fließt und von ihm zu dir, und durch den du ihm alles mitteilst, was er tun soll.“
„Als ob ich mit ihm telefoniere?“
Herr Tiedjen lachte.
„Wenn du es so nennen willst? Aber sagen wir lieber: Gedankenübertragung. Du selbst mußt ganz auf das konzentriert sein, was ihr beiden tun wollt. Mit der Zeit wird er diese Sprache verstehen — deine eigene Konzentration wird sich auf ihn übertragen.“
Dieser Rat schien zu helfen. Bille konzentrierte sich ganz darauf, mit Zottel auf diese Weise zu sprechen, und dachte nicht mehr ängstlich und verkrampft daran, was sie wohl alles falsch mache. Und Zottel wurde zusehends aufmerksamer und weicher im Maul, seine Schritte wurden weit und frei.
„Genug für heute!“ sagte Herr Tiedjen schließlich und wendete zum Hof hinüber. „Ich glaube, ihr beiden habt heute eine ganze Menge gelernt.“
„Nicht zu fassen“, sagte Bille strahlend, „wir sind doch nun eine Stunde lang nur ganz friedlich im Schritt durch den Park geritten, und trotzdem bin ich naßgeschwitzt und k.o., als hätte ich die ganze Zeit dicke Bäume durchgesägt oder ein ganzes Feld umgegraben!“
„Das ist gut, ein Zeichen, daß du richtig gearbeitet hast. Ich bin sehr zufrieden mit euch.“
Sic waren vor dem Stall angelangt und saßen ab. Karlchen übernahm Lohengrin, und Bille belohnte Zottel erst einmal mit einer ganzen Hand voller Zuckerstücke.
„Verwöhn ihn nicht zu sehr“, mahnte Herr Tiedjen, der seinerseits Lohengrin ein paar Zuckerstücke reichte und ihm den Hals klopfte. „Der Bursche wird uns sonst zu fett! Also - bis zum nächstenmal. Übermorgen?“
„Oh, toll, ja! Danke schön!“
Bille hatte nicht zu hoffen gewagt, daß Herr Tiedjen ernstlich ihren Reitunterricht übernehmen würde. Wie auf Wolken schritt sie mit Zottel in den Stall hinein, um ihn in der Box abzusatteln und trocken zu reiben.
„Hubert! Mach die Haferkiste zu, der Fresser kommt!“ schrie Petersen, der gerade die abendliche Ration verteilte.
„Hackt doch nicht immer auf ihm rum!“ sagte Bille empört. „Er hat soviel durchgemacht!“ Sie streichelte Zottel zärtlich und warf den Männern einen vernichtenden Blick zu.
„Mit dir eben?“ Hubert lachte.
„Sag man nix, Jung.“ Petersen trat zu ihnen. „Der Chef hat unserem Küken eben die zweite Unterrichtsstunde angeboten. Darauf kann sie sich schon ’n bißchen was einbilden, muß mächtig begabt sein, unsere Lütte, sonst würde er sich gar nicht die Zeit nehmen.“
„Erzähl mal, wie war’s denn? Biste runtergeflogen?“ fragte Karlchen.
„Im Schritt? Wohl kaum . . .“
„Ihr seid nur Schritt geritten? Was für ’n Kinderkram“, sagte Karlchen enttäuscht.
„Du hast eben keine
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