Bille und Zottel 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick
ihren Träumen riß.
„Übernimm du bitte Feodora, Hubert soll hierbleiben und später die Zeit stoppen.“
Bille wurde rot vor Stolz. Daß sie und nicht Karlchen Feodora führen durfte, empfand sie als besonderen Vertrauensbeweis. Bille nahm die Stute am Zügel und ließ sie dabei nicht aus den Augen aus Angst, es könne dieser Kostbarkeit auf der kurzen Strecke etwas zustoßen. Beim Absatteln achtete sie darauf, nur ja keinen falschen Handgriff zu tun und rieb Feodora so sorgfältig ab, als hätte sie eine Kranke zu versorgen. Als der alte Petersen zu ihr trat, wurde ihr etwas wohler, nun trug sie die Verantwortung nicht mehr allein.
„Na, unser jüngster Pferdepfleger macht sich! Kannst gleich weitermachen, Sinfonie kommt heute morgen noch dran.“
Bille schaute ihn ein wenig unsicher an.
„Na komm, nur Mut — willst doch was lernen! Ich paß schon auf, daß nix schiefgeht.“
Sinfonie, eine Fuchsstute mit einer breiten weißen Blesse und weißgestiefelt, sah aus wie ein Engel, aber war das Unberechenbarste, was je im Groß-Willmsdorfer Stall gestanden hatte. Bille war nervös, als sie jetzt mit dem Zaumzeug in ihre Box trat. Petersen stand hinter ihr.
Sinfonie spielte unruhig mit den Ohren und drehte sich weg. Wie Bille auch versuchte, an sie heranzukommen, die Stute drehte ihr immer wieder die Kehrseite zu und hob wie zur Warnung das rechte Hinterbein.
„Laß dich nicht einschüchtern, Deern, sie spielt nur mit dir.“ Bille machte sich etwas größer und atmete tief durch.
„Na, na, na . . .“, sagte sie dann mit tiefer Stimme und so laut sie konnte. Dabei trat sie mit einem energischen Schritt nah an Sinfonie heran und streifte ihr rasch das Zügelende über den Kopf. In die linke Hand, mit der sie das Gebiß an Sinfonies Maul heranführte, hatte sie ein Zuckerstück gemogelt. Sinfonie fiel auf den Trick herein und das Gebiß rutschte zugleich mit dem Zuckerstück ins Maul.
„Siehst du, du mußt nur energisch sein“, sagte Petersen, der nichts von dem Manöver gemerkt hatte.
Bille machte den Kehlriemen zu und holte den Sattel. Sinfonie wurde mit einem weiteren Zuckerstück abgelenkt und beschränkte sich auf einen kleinen Trippeltanz, während Bille den Sattel auflegte und den Sattelgurt festzog.
„So, meine Schöne, das wäre geschafft.“ Bille wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Hm, hast eine Menge dazugelernt in den letzten Wochen.“ Der alte Petersen gab ihr einen anerkennenden Klaps auf den Hintern.
Bille mochte solche Beweise der Zuneigung nicht besonders, aber im Augenblick war sie so stolz darauf, mit der schwierigen Pferdedame fertiggeworden zu sein, daß sie gnädig darüber hinwegsah. Sie führte die Stute am Zügel hinaus und zum Springplatz hinüber.
Kaum war sie aus dem Stall heraus, besann sich Sinfonie auf ihren schlechten Ruf und begann mit dem Kopf zu schlagen und kleine Bocksprünge zu machen. Bille harte alle Mühe, sie zu halten.
„Olala, meine Süße, ganz ruhig, du hast gleich genug Gelegenheit zum Austoben. Ruhig - ganz ruhig!“ Bille pfiff durch die Zähne, wie sie es bei Petersen immer wieder beobachtet hatte.
Sie war heilfroh, als sie den Platz erreichten, ohne daß sich Sinfonie losgerissen hatte. Erleichtert drückte sie Hubert die Zügel in die Hand und sagte hastig: „Tschüs, ich muß jetzt nach Hause. Hab Mutsch fest versprochen, ihr heute das Kochen abzunehmen.“
Auf dem Heimweg mußte sie plötzlich daran denken, wie viel sich in den vergangenen Wochen in ihrem Leben geändert hatte. Ihre kühnsten Träume waren Wirklichkeit geworden. Und wenn es ihr gelang, Herrn Tiedjen von ihren reiterischen Fähigkeiten zu überzeugen, würde sie bald eines der großen Pferde reiten dürfen. Sie mußte unbedingt soviel wie möglich mit Zottel trainieren, auch in Herrn Tiedjens Abwesenheit. Gleich heute nachmittag wollte sie es auf eigene Faust versuchen. Der alte Petersen hatte frei, Herr Tiedjen fuhr in die Stadt und Hubert war draußen auf den Koppeln beschäftigt. Das war eine großartige Gelegenheit, sich mit Zottel selbständig zu machen.
Gleich nach dem Mittagessen wollte Bille nach Groß-Willmsdorf zurückfahren, aber Mutsch hielt sie auf.
„Mußt du denn immer nur bei den Pferden herumlungern“, sagte sie verärgert, „die Ferien sind doch lang genug. Könntest mir ruhig auch mal ein bißchen Zeit schenken. Im Garten fällt das Obst bald von den Sträuchern und ich komm nicht dazu. Der Laden und der Haushalt wachsen mir über den
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