Bille und Zottel 02 - Zwei unzertrennliche Freunde
heran.
„Bleib ganz ruhig stehen, Junge, rühr dich nicht vom Fleck, sonst bricht sich Bille alle Knochen, hörst du?“ mahnte sie ihn. Zottel schien zu begreifen.
Bille sah hinunter und wußte, was Bettina vorhatte. Sie setzte sich auf den untersten Ast und streifte die Stiefel ab.
„Achtung!“ schrie sie und warf die Stiefel dicht neben Bettina zu Boden. Bettina stieg vorsichtig auf Zottels Rücken und stellte sich aufrecht hin. Mit den Händen hielt sie sich am Stamm der Buche fest.
„Ruhig, Zottel, ganz ruhig!“ Der Mahnung hätte es gar nicht bedurft. Zottel stand wie ein Reiterdenkmal.
„Alles klar?“ rief Bille.
„Okay, komm!“
Bille packte den Ast, auf dem sie saß, mit der linken Hand, umklammerte mit den Beinen den Baumstamm und ließ sich hinunter. Blitzschnell faßte sie mit der rechten Hand nach, löste die Beine und ließ sich hängen. Bettina stellte sich auf die Zehenspitzen und angelte nach Billes Beinen. Bille streckte die Zehen aus — nur wenige Zentimeter trennten sie von Bettinas •Schultern. Zottel rührte sich nicht.
„Halt dich fest, ich laß mich fallen. Achtung!“
Ihre Füße landeten auf Bettinas Schultern, mit den Händen suchte sie am Baumstamm Halt.
„Klasse! Wir sollten zum Zirkus gehen“, ächzte Bille erleichtert. Erst mit dem rechten, dann mit dem linken Bein rutschte sie hinunter auf Bettinas Schultern. „Was du Fliegengewicht alles aushältst! Hätte ich doch wenigstens nicht soviel gegessen! Aber ein Glück, daß der Wind etwas nachgelassen hat.“
Bettina kicherte. Seit vielen Monaten fühlte sie sich zum erstenmal innerlich frei und fast übermütig.
Der Rest war ein Kinderspiel. Bettina ließ sich in den Sattel hinunter, und Bille sprang auf die Erde. Dann fiel sie abwechselnd Zottel und Bettina um den Hals.
„ Vergiß deine Stiefel nicht!“ mahnte Bettina. „Vor lauter Freude merkst du überhaupt nicht, daß du hier auf Strümpfen herumhüpfst. Glaubst du, daß Zottel uns beide tragen kann?“
„Kein Problem. Außerdem haben wir jetzt Rückenwind, da geht’s leichter. Komm.“
Bille setzte sich in den Sattel, und Bettina saß hinter ihr auf. Nach einer Weile sah Bille zurück.
„Wolltest du mich nicht was fragen?“
„Nö —was denn?“
„Na, zum Beispiel, ob ich dein Armband gefunden habe?“
„Nicht zu lassen, daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht!“
Spukt es in der Kirche?
Kein Mensch hatte ihren Ausflug bemerkt. Sie schlichen wie die Einbrecher in Bettinas Zimmer hinauf. Dort hängten sie die durchnäßten Jacken und Strümpfe auf die Heizung, und Bettina holte trockenes Zeug aus dem Schrank.
„Hier, zieh dir das schon mal an. Und dann prüf mal die Mathe-Aufgaben nach. Ich komme gleich wieder.“
Bille schlüpfte in Bettinas warme Wollsocken und massierte sich die steifgefrorenen Zehen. Dann beugte sie sich über die Hausaufgaben.
„Tante Charlotte erlaubt es! Du darfst heute nacht hier schlafen — natürlich nur, wenn du magst“, verkündete Bettina strahlend, als sie wieder ins Zimmer kam.
Bille schaute überrascht auf. „Ob ich mag? Na, das ist vielleicht eine Frage! Klasse! Ich ruf sofort Mutti an.“
„In Groß- Willmsdorf hat Tante Charlotte schon Bescheid gesagt.“ Bettina kicherte. „Sie ist nur nicht heraufgekommen, weil sie uns nicht beim Arbeiten stören wollte.“
„Sehr vernünftig von ihr“, meinte Bille grinsend. „Wo wir die ganze Zeit so gepaukt haben!“
Es wurde eine lange Nacht. Bille lag auf einer Matratze vor Bettinas Bett, und während der Sturm um das Dach heulteund an den Fensterläden rüttelte, wurden die Mädchen nicht müde, einander aus ihrem Leben zu erzählen und ihre geheimsten Gedanken und Wünsche auszutauschen. Es war weit nach Mitternacht, als ihnen endlich die Augen zufielen.
„Reiten wir morgen zusammen aus, wenn der Sturm nachgelassen hat? Du auf Zottel, ich auf Sternchen?“ fragte Bille gähnend.
„Klare Sache“, murmelte Bettina.
Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm gelegt. Einzelne weiße Wolken trieben über einen frischgewaschenen Himmel, und die Sonne verschickte auf ihren Strahlen ein paar Erinnerungen an den Sommer.
Beim Frühstück drehte sich das Gespräch um den Orkan und die Schäden, die er angerichtet hatte. Herr Henrich war bereits draußen gewesen und berichtete von umgestürzten Bäumen, abgedeckten Häusern und Scheunen und blockierten Straßen.
„Sogar den Hochsitz hinter der alten Scheune hat es erwischt“, erzählte er.
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